Der Verein Hockey United Werne besteht rund zur Hälfte aus Flüchtlingen mehrerer Länder
25.11.2020 - Als 2015 ein großer Ansturm von Flüchtlingen in Deutschland Zuflucht fand, zählte André Wagner schnell zur Vielzahl derer, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren wollten. In seiner Heimatstadt Werne im westfälischen Landkreis Unna hatte der 43-Jährige alsbald regelmäßig mit Menschen aus verschiedenen Ländern zu tun.
Als es irgendwann darum ging, eigene Vorschläge für die Beschäftigung mit den Flüchtlingen einzubringen, da schlug Wagner vor, in einzelnen Gruppen mal die Sportart Hockey auszuprobieren. „Nur das kann ich richtig vermitteln, außerdem ist Sport immer ein guter Indikator“, hatte Wagner keine Angst davor, den Versuch anzugehen. Und er hatte ungeahnten Erfolg damit.
Die Männer aus Syrien, Guinea oder dem Irak ließen sich auf die Neuheit ein – und hatten mit Schläger und Ball rasch so viele kleine Erfolgserlebnisse und Spaß an der Sache, dass es keine einmalige, vorübergehende Beschäftigung bleiben sollte. Auch André Wagner erkannte das schnell und blieb dran. Bei der Hockeyabteilung des TV Werne hatte er sein sportliches Handwerk erlernt, war dort jahrelang Spieler und zeitweise auch Abteilungsleiter. Einen zweiten Hockeyverein in der 30 000-Einwohner-Stadt im Speckgürtel von Dortmund zu gründen, war alles andere als ein lange vorgefertigter Plan von André Wagner. Doch als beim TV Werne aus verschiedenen Gründen seine Hockey-Flüchtlingsgruppe nicht unterkommen konnte, stand 2018 auf einmal die Idee im Raum, sich auf eigene Füße zu stellen.
Am 1. Juli 2018 gründeten elf Männer aus vier Nationen den Verein Hockey United Werne. Die offizielle Vereinsgründung hatte auch den Hintergrund, dass sich die neue Multikulti-Hockeygemeinschaft gerne mit anderen messen wollte. „Die Begeisterung war so groß, dass wir auch richtige Spiele machen wollten“, sagt der zum HU-Vorsitzenden gewählte André Wagner und meldete folgerichtig eine Herrenmannschaft in der untersten Hallen-Spielklasse des Bezirks Westfalen im Westdeutschen Hockey-Verband an. Das Team, zur Hälfte aus Geflüchteten und zur anderen Hälfte aus ehemaligen Spielern des TV Werne sowie einem „deutschen Hockey-Neuling“ zusammengesetzt, beteiligte sich in der Hallensaison 2018/19 an der 4. Verbandsliga. Es wurde ein paar mal verloren, aber auch mal gewonnen, und über allem stand der Spaß und die Festigung eines Gruppengefühls durch den gemeinsam betriebenen Sport. „Ethnische Probleme gibt’s bei uns nicht. Wir haben eine gute Gemeinschaft. Es wurde viel gelacht, und alle freuen sich auf das, was noch kommt“, sagt Wagner.
Seit Anfang des Jahres 2020 bemüht sich Hockey United Werne auch um den Nachwuchs. Über die eigenen Kinder der Geflüchteten, einige Aktionen und ordentlich Mundpropaganda ist mittlerweile eine Gruppe von 15 bis 20 Jugendlichen zusammengekommen. Tendenz steigend. „Wir haben auch gute Kontakte zu den Sozialarbeitern in der Stadt. Die machen Werbung für uns und unsere Angebote“, ist der Clubchef stets bemüht, die kleine Basis weiter zu verbreitern. Leisten sollte sich eine Mitgliedschaft bei Hockey United Werne jeder können: Der Mitgliedsbeitrag beträgt 24 Euro für Erwachsene und 12 Euro für Kinder – im Jahr! „Das ist mehr ein symbolischer Beitrag. Wir finanzieren uns im Wesentlichen über Spenden und Sponsoren“, erklärt André Wagner das Modell. In der Vereinssatzung wurden auch außersportliche Integrationsangebote festgeschrieben. So sind Sprachkurse für die Spieler, aber auch Hausaufgabenbetreuung oder Nachhilfe für die Kinder der Aktiven fest eingeplant.
Natürlich ist das, was in den vergangenen beiden Jahren in Werne entstand, auch bei höheren Stellen nicht verborgen geblieben. Der Westdeutsche Hockey-Verband hat jüngst auf seinem ordentlichen Verbandstag Hockey United Werne zum WHV-Verein des Jahres 2019 auserkoren (André Wagner: „Das ist natürlich eine große Ehre und Wertschätzung für uns“), und beim Deutschen Hockey-Bund nutzt man den jungen Club als „best practise“-Beispiel für vorbildliche Integrationsarbeit. Maren Boyé, beim DHB als Direktorin Sportentwicklung tätig, hat den Verein außerdem beim Deutschen Olympischen Sportbund im DOSB-Programm „WiS – Willkommen im Sport“ vorgemerkt. Boyé: „Wir haben uns zu diesem Programm beim DOSB gemeldet und HU Werne unter der Führung von André Wagner im vergangenen Jahr als Kooperationspartner-Verein mit einem Projekt aufnehmen können. Zusammen haben wir eine über zwei Jahre laufende Projektplanung aufgestellt, die 2020 und 2021 dann umgesetzt werden soll.“
„Wir sind etwas Einmaliges im deutschen Hockey“, sagt André Wagner – und Maren Boyé widerspricht ihm hier nicht. Wenn es nach ihr ginge, soll auf Dauer Hockey United Werne aber kein Einzelfall bleiben. Es muss ja nicht immer gleich ein ganz neuer Verein entstehen, auch herkömmlich gewachsene Strukturen könnten sich bei der Integrationsarbeit funktionieren. André Wagner glaubt, dass „viele das Potenzial unterschätzen“. So seien bei den Flüchtlingskindern von Hockey United Werne „ein paar echte Talente dabei“.
lim