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Positives in der Krisenzeit

Ex-Bundestrainer Berti Rauth versucht dem Corona-Lockdown einige gute Seiten abzugewinnen

17.12.2020 - Bei allen Sorgen, die auch ihn als Trainer in diesen außergewöhnlichen Zeiten umgeben, verzweifelt Berti Rauth nicht an der Corona-Krise. Der frühere Damen-Bundestrainer, der seit 13 Jahren beim Club an der Alster als Technikausbilder für Nachwuchstalente arbeitet, kann der schwierigen Phase mit weitgehendem Verbot von Gruppentraining sogar ein paar positive Seiten abgewinnen. In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt sagte Rauth kürzlich: „Ich habe im ersten Lockdown eine interessante Beobachtung gemacht. Kinder und Jugendliche haben wieder angefangen, das freie Spielen für sich zu entdecken. Die haben geschaut: Was habe ich für Möglichkeiten, und was lässt sich daraus machen?“

Denn, so der 62-Jährige, in vielen Vereinen gäbe es „einen Zustand der Überorganisation. Für alles ist gesorgt, alles wird vorgegeben.“ Dies sei zuletzt vielfach weggefallen und habe dafür gesorgt, „dass es eine Rückbesinnung auf das gibt, was Sport ursprünglich ausmacht: den Drang, sich zu bewegen, und die Lust, sich zu messen.“ Und das gehe, ist der frühere Rüsselsheimer Meistermacher (15 nationale und 18 internationale Titel mit den RRK-Damen) sicher, „zumindest für eine gewisse Zeit, auch mit Abstand“.

Die zeitliche Schiene ist für ihn ein wichtiger Faktor: „Wenn dieser Lockdown zwei oder drei Jahre dauern würde, dann schon“, stimmt Rauth der Frage des Abendblatt-Journalisten Björn Jensen zu, ob Corona besonders im Nachwuchs für eine „verlorene Generation“ sorgen würde. „Eine so lange Phase ohne Perspektive würde dazu führen, dass wir erdrutschartig Talente verlieren“, sagt Rauth, um nachzuschieben: „Aber die Phase, die wir aktuell erleben, macht mir keine Angst davor, dass uns nachhaltige Verluste drohen. Das überragende Talent bahnt sich seinen Weg wie Wasser im Gebirge.“

Doch ganz so einfach will sich auch ein Berti Rauth die Sache nicht machen. „Vor allem im motorisch wichtigsten Lernzeitraum, zwischen acht und zwölf Jahren, schadet eine fehlende Trainingsintensität. Was man dort anbahnt, davon profitieren Kinder bis ins Erwachsenenalter, und wenn es dort keine Kontinuität gibt, ist das Verfestigen von Mustern schwierig“, benennt der erfahrene Coach die aktuelle Gefahr - und sieht auch seinen Berufsstand gefordert. Für sich selber ist Rauth zur Erkenntnis gekommen, dass er „wegkommen muss vom verschulten Erklären, denn davon haben die Kinder in der Schule schon genug“. Deshalb verwende er bei aktuellen Videokonferenzen „nur etwa ein Viertel jeder Einheit darauf, technische Grundlagen zu erklären, und den Rest, die Kinder zu Eigenständigkeit anzuleiten“.

Natürlich spürt auch Rauth, dass speziell Kinder und Jugendliche, die sich für einen Mannschaftssport wie Hockey entschieden haben, das Gemeinschaftserlebnis vermissen. „Das, was ihnen am meisten fehlt, ist das gemeinsame Erleben, das Sich-Messen in der Gemeinschaft. Deshalb ist es wichtig, ihnen zu zeigen, dass diese Gruppe noch da ist, auch wenn sie physisch gerade nicht beisammen sein darf“, sagt der Trainer

Dass den Kindern derzeit „die Komfortzone genommen“ worden sei, wie Rauth das Fehlen von Trainingsgruppen und Übungsleitern bezeichnet, habe nach seiner Einschätzung einen positiven Nebeneffekt: „Wenn das dazu führt, dass sie ihre Kreativität neu entdecken, dann ist das ein wichtiger Schritt zurück zu der Spielkultur, die die Vorstufe des organisierten Sports ist.“ Rauth streute im Interview auch Selbsterlebtes ein: „Ich habe das Schlenzen früher nicht allein im Training gelernt, sondern weil ich es im Hinterhof mit meinen Freunden immer und immer wieder geübt habe.“ Nach Rauths Einschätzung seien „Kinder heute nicht anders, die machen die Tricks, die sie im Fernsehen bei ihren Stars sehen, egal in welcher Sportart, auch zu Hause nach“. Folglich könne „dieser Drang, etwas zu lernen, auch im Lockdown umgesetzt werden“.

Und noch was Positives: „Nach dem ersten Lockdown habe ich festgestellt, dass der Hunger auf das Training viel größer war. Die Kinder haben gespürt, was ihnen gefehlt hat, und waren richtig froh, als es wieder möglich war“, sagt Rauth. Gleichzeitig glaubt und hofft er, dass dieser „Motivationsschub“ etwas sei, „das einen die Demut lehrt, um schätzen zu können, was wir in normalen Zeiten in unserer westlichen Welt alles haben.“ Der frühere Bundestrainer (1995 bis 2000) sieht den Leistungssport „heute oft weit weg vom Ideal des Sports, der Begeisterung für Bewegung“. Aber genau diese Begeisterung sei es, was man „niemals verlieren darf“.            

lim