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Das erforderte mehr als Mut

19.05.2021

Eine grundsätzlich sehr gute verbale Einigung mit einer öffentlich-rechtlichen TV-Anstalt wieder zu den Akten zurückzulegen, eine andere Anfrage eines renommierten Sportsenders auszuschlagen und stattdessen auf ein Pferd zu setzen, das mit Hockey bislang noch überhaupt keine Berührungspunkte hatte – all das erfordert Mut, wahrscheinlich sogar mehr als das. Als Valentin Heyl Ende Januar die Idee kam, das Final-Four um die Deutsche Feldmeisterschaft 2021 durch den jungen Sportsender Trops4 über den Streamingkanal twitch.tv übertragen zu lassen und mit diesem Vorschlag zunächst clubintern anklopfte, da rannte der Kommunikationsleiter des Mannheimer HC nicht nur offene Türen ein. „Die Situation und meine Empfehlung wurden schon kritisch hinterfragt“, gibt Heyl rückblickend offen zu.

Während er selbst „von der ersten Minute dran geglaubt“ hatte, dass es funktionieren kann, musste Heyl andernorts erst noch Überzeugungsarbeit leisten. Doch am Ende hatten sowohl der Deutsche Hockey-Bund als auch die Entscheider beim MHC grünes Licht für ein Konzept gegeben, wie es im deutschen Hockey so noch nie angegangen worden war. Die Agentur des früheren Beachvolleyball-Profis Alexander Walkenhorst wollte das Final-Four-Event dem Internet-Publikum genauso präsentieren, wie man sich im Beachvolleyball in kurzer Zeit einen Namen gemacht hatte: frisch und direkt, mit jeder Menge kleiner Geschichten drum herum, lockeren Couch-Gesprächen zwischendurch und vor allem vielen Möglichkeiten der Interaktion mit den Usern an den Endgeräten.

Kurzum ein ziemliches Kontrastprogramm zu dem, wie bisher Hockey-Übertragungen vor allem im klassischen Fernsehen abliefen. „Da waren die Sender aufgrund nachvollziehbarer Mechanismen im analogen TV entweder direkt mit Schlusspfiff des Spiels oder spätestens nach dem ersten O-Ton eines Trainers wieder weg“, so Valentin Heyls Kritik. Seine Schlussfolgerung: „Die reinen 60 Minuten Hockeyspiel am TV-Gerät oder Laptop sind wohl eher für langjährige Hockey-Fans, wenn man nicht auch noch ein paar Geschichten dazu bringt. Wir müssen anfangen, die tollen Charaktere und die Stories unseres Sports zu erzählen.“ Der Kommunikationsfachmann spricht von „Sportainment“, auf das sich auch Trops4 bestens verstehe. Und das für das Final-Four in großem Stil geplant war: mit rund 13 Stunden Dauerübertragung am Halbfinaltag und nochmal einer Acht-Stunden-Schleife am DM-Sonntag.

Viel Zeit, vorher Hockey kennenzulernen, hatte das Team von Trops4 nicht. Zwei Bundesligapartien und zwei Viertelfinal-Heimspiele des MHC mussten als Generalprobe für die DM reichen. „Die Nettiquette wurde nicht immer ganz eingehalten“, sagt Heyl zu manchem verbalem Ausrutscher bei diesen Testläufen. Aber dank schneller Lerneffekte und mit an die Seite gestellter Fachmänner aus den Reihen der MHC-Livestream-Kommentatoren legte sich die Aufregung schnell wieder.

Das DM-Wochenende lief dann, auch dank aufwändiger Produktion mit acht TV-Kameras, sehr professionell ab. Erstes sprang viel gutes Bildmaterial für die Abnahme durch öffentlich-rechtliche TV-Sender für deren Kurzberichte ab, außerdem blickte Heyl in viele zufriedene Gesichter: „Spielern, Coaches und auch den Bundestrainern hat das Format gefallen. Und Alex Walkenhorst fand es sehr stark, wie gut seine Hockeygäste mit launigen, manchmal auch emotionalen Interviews mitgezogen haben.“

Einige Zahlen zeigen, dass das Produkt gut angenommen wurde: Knapp 1,28 Millionen Liveaufrufe hatte das Final-Four auf twitch.tv, in der Summe waren es rund 10 Millionen angesehene Minuten Hockey, im Schnitt waren zwischen 10.000 bis 19.000 Zuschauer dauerhaft „on air“, und jeder Livezuschauer verweilte im Durchschnitt zehn Minuten bei einer Übertragung. Für Valentin Heyl auch interessant: 33.840 Chatnachrichten wurden während des DM-Wochenendes über die Plattform ausgetauscht.

Ein Beispiel, wie man die User am Event aktiv zu beteiligen verstand: die Wahl der „MVP“. Nach einer Vorauswahl durch die Trainer der beteiligten Mannschaften durften schließlich alleine die Zuschauer über die wertvollsten Endrundenspieler (Nathalie Kubalski, Moritz Ludwig) bestimmen.

Für Valentin Heyl gab es am Ende eines gelungenen Experiments nur Gewinner. „Ich denke, dass die Hockey-Community an diesem DM-Wochenende auf alle Fälle größer geworden ist“, war das Erreichen eines jungen, neuen Publikums eines der Ziele. „Und ich glaube“, so Heyl mit einem Augenzwinkern, „dass die Jungs von Trops4, die ehrlichen und guten Sport lieben, sich jetzt auch ein bisschen in Hockey verknallt haben.“  

lim