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Das Hockey-Tagebuch aus Tokio

Seit Samstag wird beim Hockey-Turnier in Tokio gespielt. Uli Meyer, Redaktionsleiter der Deutschen Hockey Zeitung erlebt die Partien hautnah vor Ort - und seine bisher seltsamsten Olympischen Spiele. Alles, was bisher kurios und wichtig war, steht hier in seinem Tagebuch aus Tokio.

Auf Abstand in der Mixed-Zone. Bild: Meyer

24. Juli: Rossi brennen die Sicherungen durch

Die Gastgeber dürfen das Eröffnungsspiel des 24. Olympischen Hockeyturniers der Herren bestreiten. Gegen den Weltranglistenersten Australien hat Japan eine eigentlich unlösbare Aufgabe vor sich. Doch plötzlich drehen die Asiaten mit drei Treffern innerhalb von vier Minuten ein 0:2 zum 3:2-Pausenstand. Zwar bleibt am Ende die Überraschung aus, weil sich Australien noch einmal sammelt und dann auch mit 5:3 gewinnt, trotzdem darf Japan Kraft aus dieser Partie ziehen. Man ist kein Kanonenfutter. Im kleineren Stadion, dem rund 300 Meter vom North Pitch entfernten South Pitch, gewinnt Indien nach Rückstand dank der besseren Standards gegen Neuseeland mit 3:2. Im Hauptstadion macht auch Weltmeister Belgien aus einem 0:1 noch einen Sieg über die Niederlande. Standardspezialist Hendrickx dreht mit einem Hattrick binnen vier Minuten das Resultat zum 3:1-Endstand. Seltsam: Nach ihrem Führungstor war bei den Holländern mit einem Mal der Stecker gezogen. Zum Ende der Vormittagssession trennen sich Argentinien und Spanien 1:1. Mit dem Schlusspfiff brennen beim Argentinier Lucas Rossi die Sicherungen durch. Er geht auf den am Boden liegenden Spanier Allegre zu und trifft ihn (leicht) mit dem Schläger am Kopf. Für diesen Verstoß gegen die Verhaltensregeln (FIH Code of Conduct) wird Rossi vom Weltverband fürs nächste Spiel gesperrt, Argentinien muss die Partie gegen Japan mit nur 15 (statt 16) Akteuren bestreiten.
Beim abendlichen Spiel zwischen Großbritannien und Südafrika (3:1) gibt der deutsche Schiedsrichter Benjamin Göntgen sein olympisches Debüt, derweil auf dem Süd-Platz Deutschlands Herren beim 7:1 über Kanada souverän ihren ersten drei Punkte einfahren. Topfavorit Niederlande braucht zum Start des 11. Olympischen Damenturniers gegen Indien eine Halbzeit (1:1), um den Turbo ins Laufen zu bringen, gewinnt dann aber noch standesgemäß 5:1. Riesig ist die Freude bei den Irinnen. Bei Ihrer Olympiapremiere gelingt gleich ein Sieg (2:0 über Südafrika).

25. Juli: Australien überrollt Indien

Heiß aber einsam geht es bei den Spielen in Tokio zu. Bild: Meyer

Wer glaubt, dass es um 9.30 Uhr noch morgendliche Frische gibt, wird in Tokio eines Besseren belehrt. Im 40-Grad-Backofen werden Deutschlands Damen zunächst aber nicht nur von der Hitze gegrillt, sondern auch vom britischen Pressing und vom 0:1-Rückstand. Das DHB-Team kämpft gegen alle Dilemmas erfolgreich an und gewinnt noch 2:1. Beim Spiel Australien gegen Spanien (3:1) fallen alle vier Tore innerhalb von sechs Minuten im dritten Viertel. Beim torreichen Asien-Gipfel zwischen Japan und China (3:4) hat Michelle Meister ihren ersten Einsatz als Schiedsrichterin, nachdem sie tags zuvor schon mit den Tücken des Videokellers zu kämpfen hatte. Eine böse Auftaktpleite erleben Argentiniens Damen. Gegen Neuseeland wird der Weltranglistenzweite mit 0:3 abgewatscht, weil die Kiwis viel effektiver bei ihren Ecken sind.
Die Abendsession am Sonntag ist den Herren vorbehalten. Indiens australischer Chefcoach Graham Reid hat sein Team offenbar nicht genügend über die Stärken seiner Landsleute informiert. Jedenfalls lassen sich die Asiaten ein ums andere Mal vom Down-Under-Express überrollen. 7:1 heißt es am Ende für den in Schwung kommenden Mitfavoriten. Argentinien kann auch ohne Rossi und zwangsreduziert seinen ersten Sieg einfahren: 2:1 über Japan. Spanien vermag gegen Neuseeland ein 0:1 und ein 1:2 zur eigenen 3:2-Führung drehen, muss dann aber im Schlussviertel den nächsten Turnaround in die andere Richtung hinnehmen: 3:4. Zum Tagesschluss steuert Europameister Niederlande nach dem 1:3 gegen Belgien auf den kompletten Fehlstart ins Turnier hin, als es gegen Südafrika nach 18 Minuten 0:3 steht. Trotz eines verschossenen Siebenmeters (Hertzberger) beim Stand von 2:3 kann das Oranje-Team noch den Kopf aus der Schlinge ziehen und 5:3 gewinnen.

26. Juli: Hemmungen im großen Stadion?

Leere Ränge im weiten Rund. Bild: Meyer

Im großen Stadion starten deutsche Teams gehemmt. Wie tags zuvor die Damen gegen Großbritannien erwischen auch die Herren ein völlig daneben geratenes erstes Viertel. Trotz Steigerung ist die 1:3-Niederlage gegen Weltmeister Belgien dann nicht mehr zu verhindern. Makellos stehen dagegen die britischen Herren da. Mit dem 3:1 gegen Kanada holt der nächste deutsche Gruppengegner verdientermaßen seinen zweiten Dreier. Ebenfalls ihre zweiten Siege feiern die Damen der Niederlande und Australien. Irland wehrt sich gegen den holländischen Weltmeister lange erfolgreich, kann am Ende ein 0:4 aber nicht verhindern. Noch deutlicher machen es die Australierinnen bei ihrem 6:0 über China.

Südafrikas Damen können zu Beginn der Abendsession am Montag ihren Topstart (1:0 nach sechs Minuten) gegen Großbritannien nicht veredeln. Wie bei so manchem Außenseiter bisher in diesem Turnier reicht es nicht über die volle Distanz. Die Britinnen können das Ding noch drehen und mit einem 4:1 ihre ersten Punkte aufs Konto verbuchen. Im Duell der beiden Auftaktverlierer steht es zwischen Argentinien und Spanien bis ins letzte Viertel hinein 0:0. Dann platzt bei den Südamerikanerinnen durch ein Eckentor der Knoten, am Ende heißt es 3:0 für Argentinien. Im Hauptstadion kassiert Gastgeber Japan trotz einer Führung seine zweite knappe Niederlage. Beim 1:2 gegen Neuseeland ist beim Gewinnerteam wieder einmal die Eckenausbeute überragend: Neuseeland braucht wie schon gegen Argentinien nur drei Versuche, um daraus zwei Treffer zu machen. Deutschlands Damen beenden den Tag mit ihrem 2:0 über Indien.

27. Juli: Taifungefahr – aber nur für Südafrikas Tor

Australiens Herren unterstreichen ihre aktuelle Stellung als offensivstärkste Mannschaft. Nach fünf Treffern gegen Japan und sieben gegen Indien muss auch Argentinien den Ball fünf Mal aus dem eigenen Netz holen. Argentiniens Führung dreht Australien zum 1:5, am Ende heißt es 2:5. Gut erholt von der 1:7-Packung gegen den Weltranglistenersten zeigen sich Indiens Herren. Gegen Spanien bleiben sie ohne Gegentreffer und gewinnen schließlich 3:0. Japan kann sich durch sein 2:2 gegen Neuseeland über seinen ersten Punkt freuen. Um noch eine realistische Chance aufs Viertelfinale zu haben, hätte es für die Olympiagastgeber aber wohl ein Dreier sein müssen. Zum Ende der Vormittagsession zeigen sich Deutschlands Herren gut erholt von ihrer Belgien-Niederlage und schlagen Großbritannien unerwartet deutlich mit 5:1.
Eine Taifun-Warnung hatte es am Vortag für Tokio gegeben. Die Schlechtwetterfront ist dann doch weitgehend an der japanischen Hauptstadt vorbeigedriftet. Einen kleinen Taifun erlebt am Dienstagabend dann zumindest noch das südafrikanische Herrenteam. Es bekommt die Künste des Weltmeisters mit voller Wucht zu spüren. Belgien schießt innerhalb von 41 Spielminuten neun (!) Tore, lässt dann aber Milde walten und verzichtet auf die Zweistelligkeit. Weil auch Südafrika immerhin viermal ins Schwarze trifft, wird dieses unterhaltsame 9:4 das bislang torreichste Spiel des Turniers. Die Niederländer hinken weiter den eigenen Ansprüchen hinterher. Der Europameister quält sich gegen Kanada trotz eines Traumstarts (2:0 nach vier Minuten) zu einem mageren 4:2-Sieg. Als die Kanadier in der Schlussphase beim Stand von 3:2 ohne Torwart und mit elf Feldspielern auf den Ausgleich drängen, ist selbst dieser Pflichtdreier in Gefahr.

28. Juli: Der Verlierer feiert seine tollkühne Torfrau

Mit Recht feiern die südafrikanischen Damen am Ende eines einseitigen Spiels gegen Weltmeister Niederlande ihre Torhüterin. Phumelela Mbande stürzte sich sehr oft erfolgreich in die quasi pausenlos ankommenden Bälle und verhindert damit ein viel höheres Ergebnis als das standesgemäße 0:5 aus Sicht des Außenseiters. Die Spielstatistik weist am Ende 28:1 Torschussversuche aus (darunter auch 15 Oranje-Ecken), 23 Bälle gelangten auf den Kasten von Mbande, die starke 18 davon unschädlich machen konnte. Mit dem dritten Sieg macht das Team von Alyson Annan („wir haben unseren Job erfüllt“) den vorzeitigen Einzug ins Viertelfinale perfekt. Dorthin wollen auch die Britinnen. Ihr verdienter 4:1-Sieg über Indien ist ein wichtiger Schritt dafür. Neues Leben eingehaucht bekommen Spaniens Damen. Nach zwei Niederlagen geht es für sie gegen Neuseeland fast schon um alles. Mit dem Rücken zur Wand gelingt dem Team von Standby-Cheftrainer Andres Mondo (er vertritt den in Corona-Quarantäne befindlichen Adrian Lock, der positiv auf das Coronavirus getestet wurde) ein hart erkämpftes 2:1 über die bis dahin verlustpunktfreien Kiwis. Die Vormittagssession am Mittwoch beschließt Deutschland mit einem nur am Ende kurz wackelnden 4:2-Erfolg über Irland und zieht nach den Niederländerinnen ins Viertelfinale ein.
Japan trägt Trauer. Innerhalb von zwei Stunden platzen am Abend wohl die letzten Träume der gastgebenden Hockeyteams vom Viertelfinale. Erst kassieren die japanischen Damen eine knappe und nach dem Spielverlauf noch nicht einmal verdiente 0:1-Niederlage gegen Tabellenführer Australien, kurz danach ziehen die japanischen Herren gegen Spanien trotz Blitzstart mit dem Führungstreffer nach zwei Minuten am Ende deutlich mit 1:4 den Kürzeren. Für die spanischen Herren ist der Tag wie für ihre Landsfrauen der letzte Strohhalm gewesen. Argentiniens Damen haben sich nach ihrem Fehlstart berappelt und feiern mit dem 3:2 über China ihren zweiten Sieg in Folge. Zum Tagesschluss machen die australischen Herren ihren vorzeitigen Staffelsieg in der Gruppe A mit einem 4:2 über Neuseeland perfekt. Das ozeanische Duell verläuft allerdings bis in die Schlussphase hinein beim Stand von 1:1 überraschend ausgeglichen, ehe die Kookaburras ihre Weste doch noch weiß halten.

Die Hockey-Zeitung ist für Sie hautnah bei den Olympischen Spielen dabei. Redaktionsleiter Uli Meyer begleitet die Spiele trotz aller Corona-Widrigkeiten für Sie vor Ort. Mit den E-Paper Sonderausgaben halten wir alle Hockeyfreunde auf dem Laufenden, außerdem gibt es regelmäßig Infos in unserer News-Rubrik und natürlich auf unseren Social Media Kanälen auf Facebook und Instagram.

Außerdem gibt es in unserem Podcast "Schusskreis" - powered bei Upchoice - spannende Analysen mit Chris Faust, Sissy Hauke, Sören Wolke und natürlich mit Uli Meyer.