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Olympia-Schiedsrichter Michelle Meister und Benjamin Göntgen „sehr zufrieden“

11.08.2021  Anders als die deutschen Mannschaften sind die deutschen Hockey-Schiedsrichter als sportlich voll zufriedene Olympiateilnehmer in die Heimat zurückgekehrt. Michelle Meister und Benjamin Göntgen haben in Tokio ihre persönlichen Ziele erreicht. „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung und habe deutlich mehr Spiele bekommen, als ich erwartet hatte“, sagt Meister. Und Göntgen kann sich diesen Worten nur anschließen.

Die Berlinerin leitete bei ihrem zweiten Olympiaturnier nach Rio 2016 sieben Partien und empfand ihre Nominierung für das Medaillenspiel um Platz drei als „zusätzliche Auszeichnung“. Als Debütant auf dieser größten Bühne des Hockeysports hatte sich der Aachener zum Ziel gesetzt, nach der Gruppenphase noch eine Nominierung für das Viertelfinale zu bekommen. „Dass ich bei meiner olympischen Premiere dann gleich ein Halbfinale pfeifen darf und im Endspiel als Video-Umpire dabei bin, hätte ich sofort unterschrieben, wenn mir das vorher jemand versprochen hätte“, so Göntgen.

Der Ablauf des Herren-Finals bringt den 37-Jährigen zum Schmunzeln. „Da hast du 60 Spielminuten lang nichts zu tun, und dann kriegst du plötzlich die wichtigste Entscheidung des Spiels übertragen“, beschreibt Göntgen die Szene, als beim Shoot-out der fünfte australische Schütze den Ball nicht im belgischen Kasten untergebracht hatte und damit die sportliche Entscheidung eigentlich feststand. Doch der erste Jubel der Belgier wurde jäh abgewürgt, als Feldschiedsrichter Marcin Grochal aus eigener Veranlassung heraus den Videobeweis anforderte. „Das hat dann ein bisschen länger gedauert. Jeder hat die Berührung zwischen Torwartschläger und Fuß des Schützen gesehen“, so Göntgen, dessen Aufgabe es war, zu prüfen, ob ein Foul vorlag und ob dieser Kontakt im Gesamtablauf überhaupt eine Rolle spielte. „Für einen Siebenmeter war es zu wenig, weil keine Absicht vorlag, den Bewegungsablauf des Schützen nicht merklich gestört hat und auch der Ball weit weg war. Aber weil andererseits auch die Berührung sich nicht wegdiskutieren ließ, war für mich der Retake die beste Entscheidung“, erklärt der Videoschiedsrichter seine Sicht. Dass alle Verantwortlichen später „damit superglücklich“ waren, bestärkt den Deutschen, richtig gehandelt zu haben. Kurz danach war ja dann wirklich Schluss, weil der Australier Whetton auch bei der Wiederholung scheiterte – diesmal ganz ohne jegliche Zweifel.

Mit dem Videobeweis war es so eine Sache in Tokio. „Die ersten zwei Tage war ein ziemliches Chaos“, erinnert sich Michelle Meister. Die in den Videoraum geschickten Bilder ließen die im Dienst befindlichen Unparteiischen (die neben eigenen Schiedsrichtereinsätzen auch regelmäßig für diese Tätigkeit herangezogen wurden) oft ratlos zurück. „Die Leute von der TV-Produktion hatten keine Ahnung von Hockey. Wir haben wir ihnen erst einmal mitzuteilen versucht, welche Bilder und welche Winkel wir genau brauchen, um gut damit arbeiten zu können“, so Meister. Dass die Aufnahmen zudem auch technisch nicht optimal waren, habe es „echt anstrengend“ gemacht. Was die 42-Jährige auch deshalb wundert, weil beim olympischen Testevent im Sommer 2019 noch alles gut funktioniert habe. Zum Glück habe sich schnell Besserung eingestellt, „und ab der zweiten Woche ist es dann echt gut geworden“, sah Meister auf allen Seiten Fortschritte.

Körperlich anstrengend war es auf dem Platz für die Mannschaften genauso wie für die Schiedsrichter. „Die Hitze in der Morgensession war schon extrem und ließ sich nicht wegdiskutieren“, sagt Ben Göntgen, der – wie mancher Trainer – gar von „zwei unterschiedlichen Sportarten“ sprach. Während bei den Spielen am Abend klimatisch eigentlich keine Beeinträchtigung festzustellen war, seien die Spiele bei den Vormittagsansetzungen mit geringerem Tempo abgelaufen. „Und trotzdem waren die Spieler spätestens im vierten Viertel ziemlich platt. Und zwar bei allen Mannschaften“, so Göntgens Beobachtung. Wie die Spieler, so bekamen auch die Unparteiischen in den Viertel- und Halbzeitpausen Kühlwesten oder eisgekühlte Handtücher umgelegt, um sich von den Temperaturen jenseits der 40-Grad-Marke wenigstens etwas erholen zu können.

Untergebracht waren die Hockeyschiedsrichter (je 14 Damen und Herren) nicht im Olympischen Dorf, das traditionell den Athleten vorbehalten ist, sondern in einem sehr großen Hotel mit „gefühlt allen Schieds-, Punkt- und Wettkampfrichtern aller Sportarten“ (Göntgen). Die „Hockey-Blase“ befand sich auf einem eigenen Flur und konnte so auch das von anderen Hockey-Großereignissen bekannte Gemeinschaftsgefühl leben. „Manche Kolleginnen hat man ja aufgrund der Coronaauswirkungen seit der WM 2018 nicht mehr gesehen“, war es für Michelle Meister wie ein „freudiges Wiedersehen in der Familie“.

Foto: Worldsportpics

Der Unterschied zu früheren Großereignissen, inklusive Olympia: Mal etwas außerhalb des Hockeystadions zu unternehmen, ob einzeln oder in der Gruppe, war in Tokio strikt untersagt. „Das Hotel lag eigentlich fast im Citybereich. Es wäre eine nette Ecke gewesen, um auch abends mal rausgehen zu können“, hätten auch die beiden deutschen Schiris nichts gegen eine gelegentliche Abwechslung einzuwenden gehabt. Aber die olympische Realität sah anders aus: Göntgen: „Außer Hotel und Hockeystadion gab’s nichts, war nichts erlaubt.“

Dieser Eintönigkeit aufgrund der strengen Corona-Schutzmaßnahmen gewinnt Michelle Meister auch etwas Positives ab. „Fürs Hockeyturnier selber war es sogar gut, weil die volle Konzentration auf dem Sport lag.“ Das habe, davon ist sie überzeugt, „die Leistung der Schiedsrichter deutlich gesteigert“. Einerseits habe man im Hotel noch mehr Zeit als sonst für die Nachbearbeitung der gepfiffenen Spiele und die Vorbereitung auf die kommenden Aufgaben gehabt, andererseits sei man nicht in einen Freizeitstress geraten, wie das gerade bei Olympia mit dem Besuch anderer Sportevents schon der Fall war. „Man hat die Zeit gehabt und auch gebraucht, um mal runterzukommen“, bestätigt Göntgen.

Gleichwohl schwingt bei dieser Betrachtung auch ein bisschen Wehmut mit. „Natürlich ist es schade, dass man von der Stadt praktisch nichts gesehen hat oder sich angucken konnte“, sagt der Deutsche, um gleich nachzuschieben: „Es wäre vor allem in der ersten Woche auch kaum Zeit dafür gewesen, weil man jeden Tag als Schiedsrichter, Ersatzschiri oder als Videoumpire im Einsatz war.“

Die besonderen äußeren Umstände von „Tokyo2020“ bringen Michelle Meister zur Feststellung: „Für den Eventcharakter war es sehr bedauerlich. Die ganzen schönen Stadien ohne Zuschauer, ohne Stimmung von den Rängen. Es hatte diesbezüglich nichts mit Olympischen Spielen zu tun.“ Und dennoch empfand sie es als „Privileg, dass wir das Turnier in dieser Zeit haben konnten“. Und sie sei „froh und stolz, dass ich ein Teil davon war“. Mit dem schönen Abschluss für die deutsche Topschiedsrichterin, aus den Händen von FIH-Präsident Batra die „Golden Whistle“ als Präsent für 100 Länderspiele entgegennehmen zu können. Im Gruppenspiel China gegen Spanien erreichte Meister dieses Jubiläum und damit ein weiteres persönliches Highlight ihrer Tokio-Tage.

Benjamin Göntgen ist von „total positiven Gefühlen erfüllt“ nach Hause gefahren. Vergleichserfahrungen von früheren Olympischen Spielen hatte er weder als Schiedsrichter noch als Zuschauer. „Von daher hatte ich keine Ahnung, was ohne Covid-19 wohl gewesen wäre.“ Die Vorfreude auf Paris 2024 ist jedenfalls geschürt. „Erstmal muss man gesund bleiben und dann auch nominiert werden“, will der in die Fußstapfen von Christian Blasch als internationaler deutscher Vorzeigeschiedsrichter getretene Mann sich nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen. Aber Göntgen sagt auch: „Wenn man sich was wünschen darf: Dass es 2024 hoffentlich ein bisschen anders läuft. Nochmal solche Geisterspiele wie hier in Tokio fände ich schade.“      

lim

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