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„Ein bisschen überwältigt vom großen Erfolg"

19.11.2021

INTERVIEW: Michael Green, Jugendvorstand des Harvestehuder THC

Als eifriger Titelsammler im Nachwuchsbereich war der Harvestehuder THC lange nicht bekannt. Umso mehr überrascht die Bilanz der Feldsaison 2021: In fünf von sechs Jugend-Altersklassen zog der HTHC in die DM-Endrunde ein, holte am Ende drei Meisterwimpel. Ex-Nationalspieler Michael Green, der 2017 das Amt des HTHC-Jugendvorstandes übernommen hatte, sprach mit DHZ-Redaktionsleiter Uli Meyer über die Gründe des Booms. Der 49-jährige Arzt ist aber auch von der Arbeit anderer Vereine begeistert.

 

Herr Green, fünf Teams brachte Ihr HTHC zu den Jugend-DM-Endrunden, am Ende gab es drei Meisterwimpel für Schwarz-Gelb. Sind Sie als HTHC-Jugendvorstand selber überrascht von der Größe des Erfolgs?

MICHAEL GREEN: Auf jeden Fall. Das ist schon eine außerordentliche Leistung gewesen, da muss man einfach überrascht sein. Mehr als zweimal Erster bei den Norddeutschen Meisterschaften in einer Saison waren wir davor noch nie. Da jetzt in allen sechs Altersklassen vorn zu liegen, war ein erster großer Schritt, doch das richtige Nadelöhr sind die DM-Zwischenrunden. Da braucht man auch Glück. In mehreren Spielen stand es ja auf Messers Schneide und hätte entsprechend auch in die andere Richtung laufen können. Als Beispiel greife ich mal unsere U16-Jungen heraus, die in praktisch gleicher Mannschaftskonstellation vor zwei Jahren Deutscher Meister der Knaben A wurden und dem HTHC 2019 den ersten Jugend-DM-Titel nach über einem Jahrzehnt bescherten. Da gab es vor zwei Jahren wie auch dieses Jahr schon im Zwischenrunden-Endspiel gegen den Münchner SC ebenbürtige Spielverläufe mit ganz knappem Ausgang für uns. Und von dieser Sorte hat man bei Zwischen- und Endrunden etliche Spiele. Von daher war es für mich schon überraschend, dass wir mit so vielen Mannschaften so weit gekommen sind. Im Moment sind wir ein bisschen überwältigt von dem großen Erfolg.

 

War der Gewinn von DM-Titeln ein erklärtes Ziel von Ihnen, als Sie 2017 als HTHC-Jugendvorstand angetreten sind? Oder sind solche Erfolge quasi nur eine schöne Begleiterscheinung für eine funktionierende Nachwuchsarbeit?

Eigentlich trifft beides zu. Natürlich hatte ich auch sportliche Ziele, als ich da vor nun bald fünf Jahren in diesem Amt angefangen habe. Aber zu Beginn wollte ich erst einmal Strukturen schaffen, wollte Transparenz reinbringen und Nachhaltigkeit aufbauen, was alles total wichtig ist und wie man es aus dem Erwachsenenbereich bei vielen Vereinen kennt. Mein Eindruck war, dass uns da in der Jugend ganz viele Clubs in Deutschland weit voraus waren. Selber als Bundesligaspieler nimmt man das gar nicht so richtig wahr. Die Jugend läuft da so ein bisschen paralleI. Auch wir beim HTHC hatten immer mal den ein oder anderen, der aus dem Nachwuchs zum Herrenkader hochkam. Und wenn ein so herausragendes Talent wie Tobi Hauke ein paar weitere gute Einzelspieler und einen guten Trainer neben sich hatte, dann gab es auch mal einen DM-Titel (Halle 2002 als Jugend B; Anm. d. Red.). Aber so richtig systematisch erschien mir das alles nicht. Das habe ich dann gemerkt, als ich in diese neue Rolle kam.

  

Was war damals Ihre Motivation, das Amt des Jugendvorstands zu übernehmen? Vorrangig die eigenen Kinder?

Da gibt es sicherlich mehrere Punkte. Wenn man eigene Kinder im Hockey hat, will man für die auch was Gutes schaffen. Vor allem erst einmal, dass sie sich alle wohlfühlen, natürlich nicht nur die eigenen Kinder. Ich erzähle es immer wieder: Für mich als Spieler war die Anwesenheit im HTHC immer wie Urlaub (auf dem Platz selber war es natürlich auch Arbeit), ich habe immer ein Lächeln im Gesicht gehabt, wenn ich dort hinkam. Eine solche Atmosphäre für ganz viele aus den nächsten Generationen zu schaffen und ein Wir-Gefühl zu erzeugen, war eine Kernaufgabe, die ich mir zum Ziel gesetzt habe.

Von den vorhin erwähnten drei Punkten Strukturen, Transparenz und Nachhaltigkeit war da anfangs wenig. Dabei ist das Basispotenzial im HTHC vorhanden. Wir hatten immer schon ganz, ganz viel Nachwuchs im Club gehabt, über 450 Kinder waren das schon vor Jahren. Aber wir haben es nie richtig genutzt.

 

Perth im November 2002: Michael Green (Zweiter von rechts) wird bei der FIH-Ehrung der weltbesten Akteure als Spieler des Jahres 2002 geehrt, nachdem er acht Monate zuvor mit den deutschen Herren Weltmeister wurde. Auch der Australier Jamie Dwyer (bester U23-Spieler) und die Argentinierinnen Soledad Garcia (U23) und Cecilia Rognoni (rechts; beste Spielerin) wurden ausgezeichnet. Foto: S.Meyer

 

Für die erwähnten Strukturen ist das „Jugendkonzept 2.0“ der zentrale Baustein. Wie viel des „gelben Fadens“ konnte von Anfang an umgesetzt und mit Leben gefüllt werden?

Ruckzuck ging es nicht. Das ist natürlich ein langfristiger Prozess, auch wenn der HTHC ein Leistungssportclub ist. Aber der Leistungsgedanke war bisher primär auf unsere Bundesligamannschaften gemünzt gewesen. Das auch bei der Jugend zu etablieren und bei den jungen Spielern und deren Eltern in die Köpfe zu bekommen, ist in den vergangenen zwei, drei Jahren entstanden. Das war erst möglich, nachdem ich sportliche Leiter im männlichen wie weiblichen Nachwuchs installiert hatte und auf beiden Seiten auch die Trainerteams sorgsam aufgebaut wurden. In meinen ersten zwei Amtsjahren war es vor allem viel Kommunikation, um alle in diesem Prozess mitzunehmen. Ich war auf praktisch allen Elternabenden, die pro Altersklasse einmal zur Feldsaison und einmal zur Hallensaison durchgeführt werden. Viel Aufwand, aber wenn ich so etwas mache, mache ich es auch richtig und zu hundert Prozent, damit es dann auch klappt.

 

Von wie vielen Trainern sprechen wir?

Wenn wir die beiden Bundesligatrainer, die bei je einem Jugendteam integriert sind, nicht mitzählen, dann handelt es sich um sechs Hauptamtliche, dazu kommen ungefähr zehn Co-Trainer im Teilzeit-/Minijob-Bereich. Außerdem werden Jugendliche herangeführt, bei den Kindergruppen erste Trainingshelfererfahrungen zu sammeln.

 

Gab es beim HTHC in der Zeit, wo noch nicht so viel sportlicher Erfolg zu verzeichnen war, eigentlich Probleme, die ehrenamtlichen Betreuerposten für die vielen Jugendmannschaften zu besetzen?

Nein, das war bei uns noch nie ein Problem. Wir hatten zuletzt 45 Betreuerinnen und Betreuer, die sich um unsere ungefähr 45 Jugendmannschaften kümmern. Mit Betreuerabenden und -workshops wollen wir uns in 2022 wieder regelmäßig um diesen Bereich kümmern und haben vielleicht auch deswegen hier keine Sorgen.

 

Braucht man diese große Breite, um im Spitzen- und Leistungsbereich vorankommen zu können?

Es war mir von Anfang an auch wichtig, dass wir sowohl die Breite als auch die Leistung unterstützen. Und das geht nur mit richtigen Strukturen. Zum Beispiel, dass der gleiche Trainer teilweise Spieler über zwei oder vier Jahre begleitet. Da kann eine Arbeit an den individuellen Stärken und Schwächen viel nachhaltiger gestaltet werden, als wenn jedes Jahr ein Wechsel stattfindet. Letztlich gehört viel zusammen, aber mit guten Strukturen und guten Trainern ist es möglich, Mannschaften gut zu entwickeln. Ich weiß, dass wir dadurch stärker geworden sind. Aber ich hätte auch vor zwei Jahren nie gedacht, dass wir schon einen Deutschen Meister hervorbringen können. Es gibt meiner Einschätzung nach ganz viele Clubs, die ähnlich stark arbeiten und mit ihren tollen Mannschaften dieses Jahr einfach ein bisschen Pech hatten. In der Hallensaison und nächstes Jahr im Feld werden die Karten wieder neu gemischt. Da können dann auch wieder ganz andere Vereine oben stehen. Das Tolle ist, dass man daran sieht, dass in der Jugend in Deutschland ganz viel passiert und wir alle mit Nachhaltigkeit starke Spieler entwickeln können. Auch wenn mein erstes Ziel natürlich ist, mit dem HTHC Erfolge zu haben, so bin auch ich stark interessiert daran, dass insgesamt aus der Jugend heraus viele gut ausgebildete Spieler in die Bundesliga und Nationalmannschaften kommen, die auch international mithalten können.

 

Neben dem HTHC waren ja in der Feldsaison 2021 auch andere Hamburger Jugendmannschaften auffallend erfolgreich, der UHC war mit vier Teams bei den Endrunden und holte einen Titel, ein weiterer Wimpel ging an Alster. Insgesamt wanderten fünf der sechs DM-Titel in die Hansestadt. Zufall?

Hockey in Hamburg ist immer schon ein schlafender Riese gewesen. Und jetzt sind wir ein bisschen aufgewacht. Andere Regionen hatten diesmal vielleicht ein wenig Pech. Ich glaube, dass es ein Weckruf für viele andere ist, dass man mit harter Arbeit und Akribie seine Erfolge erreichen kann.

 

Wie ist das nachbarschaftliche Verhältnis in Hamburg?

Für so viele Vereine, wie wir sie hier in Hamburg auf engem Raum haben, ist die Situation eigentlich sehr fair. Bei den ganz Kleinen gilt in aller Regel: wo man wohnt, wird man Mitglied. Kleinere Clubs wie zum Beispiel Victoria oder ETV profitieren zudem von niedrigen Mitgliedsbeiträgen und nicht vorhandenen Aufnahmegebühren. Die meisten Bewegungen und Vereinswechsel in Hamburg gibt es bei den älteren Jahrgängen der U12 und U14. Da gibt es, wie auch anderswo in Deutschland, die üblichen Gespräche, auch mal unter den Kindern innerhalb einer Schulklasse oder Telefonate zwischen Trainern und Eltern. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass in Hamburg massiv abgeworben wird. Es läuft meines Erachtens gesittet ab.

 

Als Zukunftssicherung kontinuierlich aus dem eigenen Nachwuchs Talente in den Bundesligakader nachzuschieben...

... ist generell auch unser Ziel. Ich wäre superglücklich, wenn uns das jedes Jahr mit zwei Spielern gelingt. Aber man muss da ein wenig relativieren. Als Jugendspieler im ersten Jahrgang der U18-Klasse sofort in eine Männer-Bundesligamannschaft einzusteigen, ist schwierig. Aus der bisherigen Erfahrung mag das im weiblichen Bereich ein ganz klein bisschen einfacher sein, ohne despektierlich klingen zu wollen. Aber insgesamt wünsche ich mir – nicht bloß beim HTHC, sondern bei allen Clubs –, dass wir unsere jungen Talente nicht zu früh in diesem Punkt verheizen, sondern sie die Jugend komplett zu Ende spielen lassen. Natürlich sollen die schon mal bei den BL-Kadern mittrainieren dürfen, und die besonders Starken können auch immer mal sporadisch eingesetzt werden. Aber lasst sie ihre Jugendzeit bis zum Ende nutzen. Manche brauchen dann vielleicht sogar noch zwei weitere Jahre in ihrer individuellen Entwicklung, müssen vielleicht über die 2. Damen oder 2. Herren kommen, um dann den Sprung in die erste Mannschaft zu schaffen.

 

Ein Ratschlag an die Funktionäre/Trainer, oder an die Jugendlichen selber?

An beide Seiten. Ich finde, dass sich das Anspruchsdenken bei vielen unserer Jugendlichen ein bisschen ändern müsste. Dass man eben nicht ganz früh gleich alles haben muss, sondern dass man manchmal auch erst hart arbeiten sollte, um dann den maximalen Erfolg anzustreben. Es ist ein wenig der Auftrag an uns Eltern, Trainer und Vorstände, die Kinder dahingehend empfänglicher zu machen.

 

Mal angenommen, Sie würden in einem kleineren Verein der neue Jugendwart. Was wären Ihre ersten Handlungen?

Ich komme aus dem MTV Braunschweig. Da hatten wir, wenn überhaupt, immer nur eine Großfeldmannschaft pro Altersklasse. Also braucht man die Transparenz bei der Einteilung von mehreren Mannschaften in einer Klasse nicht. Aber Strukturen und Nachhaltigkeit sind wichtig, um einen vernünftigen Aufbau hinzubekommen. Und reicht es bei den Trainern von der Quantität und der Qualität? Nicht zu unterschätzen ist bei allem Sportlichen der soziale Gedanke. Also dass wir eine Clubgemeinschaft erzeugen und mit Leben füllen. Erst ordentlich Leistung auf dem Platz bringen, dann gemeinsam Party im Club machen. Diese „dritte Halbzeit“ ist auch im Jugendbereich wichtig, um den Spaß an unserem Sport und dem Zusammenhalt in den Teams zu erhalten.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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