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Stefan Blöcher: „Fast schon ein Staatsbesuch in kurzen Hosen“

18.04.2022

Auch wenn er nie Olympiasieger und auch nie Weltmeister war, so ist Stefan Blöcher speziell in Pakistan bis heute der deutsche Hockeyspieler mit dem größten Bekanntheitsgrad. Der lang aufgeschossene, blonde Angreifer konnte in seiner Glanzzeit in den 80er Jahren dribbeln wie kein anderer Europäer. Blöchers filigraner Umgang mit dem Ball brachte ihm bei den Asiaten den Beinamen „der weiße Pakistani“ ein. Nach über drei Jahrzehnten besuchte der inzwischen 62-jährige Wiesbadener erstmals wieder das asiatische Land. Zusammen mit einer zwölfköpfigen Delegation tourte Blöcher im März zwei Wochen lang durch Pakistan. Nach seiner Rückkehr sprach er mit DHZ-Redaktionsleiter Uli Meyer über Erlebnisse und Wünsche für eine deutsch-pakistanische Hockeyzukunft.

Herr Blöcher, wie war es, nach 32 Jahren wieder in dem Stadion zu stehen, wo Sie von zigtausenden pakistanischen Zuschauern sogar als Spieler der gegnerischen Mannschaft gefeiert wurden?  

STEFAN BLÖCHER: In Lahore in dieses größte Hockeystadion der Welt einzulaufen und von einigen der damaligen pakistanischen Nationalspieler auf den Platz begleitet zu werden, das war schon ein ganz ergreifender Moment. Da lief plötzlich ein Film vor einem ab, und man fühlte sich zurückversetzt in die WM 1990. Ich konnte mich sofort wieder an einzelne Szenen erinnern, an die ganze Atmosphäre. Das war schon ein einmaliges Erlebnis.

Vor allem, wenn einem viele Tausende Einheimische per Gesang zum Geburtstag gratulieren.

Ja, im Gruppenspiel gegen Pakistan (1:0 für Deutschland; d. Red.) hatte ich mein 250. Länderspiel und meinen 30. Geburtstag. Und das ganze Stadion sang „Happy Birthday“. So ein Spiel und so eine WM mit unglaublichen Menschenmassen hat man im Leben als Hockeyspieler nur einmal. Die Schätzungen, wie viele Zuschauer an manchen Spielen mit pakistanischer Beteiligung tatsächlich im Stadion, davor und auf Dächern drumherum waren, schwankten zwischen 60.000 und 90.000. Zählen konnte das keiner mehr.

Hat es Sie erstaunt, wie sehr Sie auch über drei Jahrzehnte später noch bekannt sind in Pakistan?

Bei jeder Station unserer großen Tour durchs ganze Land gab es unvorstellbare Empfänge. Meistens mit Nationalhymnen, kleinen Militärparaden und Reden. Es war fast schon ein Staatsbesuch in kurzen Hosen. Und das galt ja nicht nur mir. Da war eine derartige Anerkennung dem deutschen Hockey gegenüber zu spüren und auch die Sehnsucht, dass die Hockeybeziehungen zwischen Deutschland und Pakistan wieder aufleben mögen. In den 70er und 80er Jahren waren deutsche Teams gefühlt fast jährlich da. Tatsache ist, dass seit 1995 anlässlich des Staatsbesuchs des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog keine deutsche Hockey-Nationalmannschaft mehr in Pakistan zu Gast war. Hier träumen sie davon, dass bald mal wieder ein deutsches Team nach Lahore kommt und sie dieses Stadion mal wieder füllen können. Pakistan drängt darauf, international wieder den Anschluss zu schaffen und setzt dabei eben unglaublich auch auf Deutschland.

Und Sie sollen eine Art Vermittlerrolle spielen?

Genau. Ich habe bereits mit DHB-Präsident Henning Fastrich telefoniert. Ich denke, dass es für jeden deutschen Spieler ein Traum wäre, mal in diesem größten Hockey-
stadion der Welt ein Länderspiel zu machen. Das versuche ich über die verschiedenen Kanäle anzuschieben. Das geht sogar bis in die hohe Politik hinein. Dass man zum Beispiel versucht, so eine Hockey-Business-Reise mit dem jetzigen Bundespräsidenten auf die Beine zu stellen und ein Treffen mit dem Premierminister Pakistans arrangiert. Da wird im Hintergrund über die Botschaften schon massiv gearbeitet.

Dass Pakistan, immerhin vierfacher Weltmeister und dreimaliger Olympiasieger, seit ein paar Jahren schon den Anschluss zur Hockey-Weltspitze verloren hat, ist offenkundig. Spürt man das auch, wenn man vorort ist?

Das merken sie selber. Bei der individuellen Technik sind die pakistanischen Spieler nach wie vor perfekt am Ball. Ich habe während meiner Reise die besten 30 Spieler bei einer Zusammenkunft sehen können und auch viele weitere. Die haben am Schläger alles drauf, verfügen über unglaubliche Skills. Aber das internationale Hockey hat sich ja gerade in anderen Bereichen derart verändert, athletisch, aber vor allem taktisch. Ich habe es ja hier bei den internen Spielen selber sehen können: Die kennen ausschließlich das Spiel nach vorne, da gibt’s keine Ballsicherung, kein Spiel hintenrum. Und in ihrem ausschließlichen Offensivhockey verlieren sie halt ständig den Ball. Da muss und wird der neue, aus Holland abstammende Nationaltrainer Siegfried Aikman, der bei den Olympischen Spielen in Tokio noch das japanische Team geführt hatte und seit Dezember 2021 in Pakistan ist, sicher ansetzen. Aber es dauert halt. Es würde ihnen bestimmt auch helfen, wenn mal eine deutsche Junioren-Auswahl für ein paar Vergleichsspiele nach Pakistan kommt. Von der Jugend her will Pakistan den Anschluss an die Weltspitze wieder schaffen.

Ist denn mit dem jahrelangen Ausbleiben der sportlichen Erfolge auch die finanzielle Unterstützung für Hockey seitens des Staates und großer Formen stark zurückgegangen?

Klar. Früher waren ja die ganzen Nationalspieler bei staatlichen Unternehmen wie der Fluggesellschaft PIA oder beim Zoll angestellt, konnten sich aber voll auf den Sport konzentrieren und hatten da im Anschluss an ihre sportliche Laufbahn gute Positionen. Sie sind jetzt wieder dran, Gelder locker zu machen. Es werden Kunstrasenplätze gebaut und dem Nachwuchs mehr Materialien wie Schläger und Schuhe zur Verfügung gestellt. Hockey hat auch etwas stärker im Collegebereich Fuß gefasst. Cricket als aktueller Volkssport Nummer eins in Pakistan hilft Hockey, dem früher führenden Volkssport. Ich habe während meiner Reise die Top-Cricketspieler getroffen. Viele kommen ursprünglich aus dem Hockey. Sie versuchen alle Möglichkeiten auszuschöpfen, Hockey wieder nach oben zu bringen. Interessant vielleicht auch noch: Pakistan will kommendes Jahr eine Profiliga einführen, so ähnlich wie die Indian Hockey League. Das planen sie mit Hochdruck, und sie wollen auch, dass ich ein wenig mitarbeite. Erste Gespräche sind da am Laufen.

Stefan Blöcher (links) und Khwaja Junaid. Auch beim olympischen Bronzemedaillengewinner von 1992 und dessen „Khwaja Junaid Hockey Academy“ war die „größte Legende des Hockeys“ zu Gast. Foto: privat

Wie kam es denn für Sie eigentlich zu dieser außergewöhnlichen Reise?

Das war ein Riesenzufall. Wir waren zu einer Hochzeit in Florenz eingeladen, ich konnte dann aus terminlichen Gründen aber nicht mit. Meine Frau Anna Posch ist dort mit einem der Gäste ins Gespräch gekommen. Der Pakistani fragte nach ihrem Ehemann. Und als dann mein Name fiel, war er gleich Feuer und Flamme. Stefan Blöcher sei das größte Vorbild seiner Jugend gewesen. Er hätte zuhause in Karachi sein ganzes Zimmer voller Hockeybilder mit mir gehabt, auch seine Mutter sei ein großer Verehrer des „weißen Pakistani“ aus Deutschland gewesen. Sarmad Hussain arbeitet im deutschen Bundestag in Berlin und ist für internationale Verbindungen des Rostocker Biotech-Unternehmen Arcensus zuständig. Wir haben uns dann erstmal über Videokonferenzen kennengelernt und angenähert. Da ist dann auch die Idee der Reise entstanden, ich sollte als sogenannter Genetic-Ambassador mitkommen.
Genetische Krankheiten sind in Pakistan eine unglaublich große Bedrohung, hervorgerufen durch Verheiratungen innerhalb der Familie. Die Wahrscheinlichkeit, dass schwerstbehinderte Kinder zur Welt kommen, wenn ein Mann seine Cousine heiratet, ist sehr groß. Aber genau diese „cousin marriage“ ist leider kulturell weit verbreitet im Land. Siegfried Aikman, einige Cricketspieler und nun eben auch ich bei meinem Besuch versuchen, über den Sport die Bevölkerung auf die Problematik hinzuweisen. Kürzlich hat sich ein aktueller Cricket-Nationalspieler öffentlich geoutet, dass er wegen solch einer Heirat innerhalb der Familie behinderte Kinder hat.

Diese Gesundheitsthematik stand also im Vordergrund der Reise.

Es war ein anstrengendes Programm, täglich von morgens 8 Uhr bis abends folgte ein Programmpunkt dem anderen. Sarmad Hussain hat alles perfekt durchgetaktet. Er war als mein Betreuer überall dabei, spricht urdu, englisch und deutsch. Wir haben Krankenhäuser und Schulen besucht, waren in Botschaften, bei Vorträgen und Empfängen. Von Islamabad, Peshawar, Lahore, Multan und Karachi als die größten Städte sind wir quer durchs Land gereist, meist auf topmodernen, dreispurigen Autobahnen. Wir haben tolle Krankenhäuser gesehen, gute Schulen mit Schwimmbädern und Klassenräumen, die mit 40 Laptops ausgestattet waren. Die Hotels sind sehr modern und werden wie ein Hochsicherheitstrakt bewacht. Auch an jeder Kreuzung und an Autobahnabfahrten sieht man Polizei und Militär. Das ist aus unserer Sicht vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber es schadet nicht. Im Gegenteil. Wir haben uns während dieser 14 Tage immer unglaublich sicher gefühlt. Pakistan scheint auch das Taliban-Problem in den Griff bekommen zu haben, hat rund 100 Terroristen komplett eliminieren können. Seitdem geht es mit dem Land wieder aufwärts. Sie hoffen, politisch wie touristisch wieder Anschluss zu bekommen. Auch das Essen war immer lecker und viel besser, als ich es aus den 80er/90er Jahren kannte.

Ist denn keine Armut mehr zu sehen?

Doch. Es gibt tatsächlich in vielen Bereichen noch immer einen absoluten Gegensatz zu den positiven Dingen, die ich eben beschrieben habe, und der Armut, die man an anderen Stellen immer noch sieht. Unglaublicher Reichtum und extreme Armut - aber es funktioniert.

Wie wird eigentlich in Pakistan mit dem Thema Corona umgegangen?

Das ist dort tatsächlich fast vorbei. In den Slums, so wird einem erzählt, hat Corona praktisch gar nicht stattgefunden, weil das Immunsystem bei den Menschen, die dort unter den schlimmsten hygienischen Bedingungen leben, so stark ausgeprägt ist, dass Corona sich habe gar nicht ausbreiten können. Im Übrigen sind 90 Prozent der pakistanischen Bevölkerung (und die besteht zu 70 Prozent aus unter 30-Jährigen) gegen Corona geimpft. Eine solch hohe Impfquote haben sie meines Erachtens sehr schlau erzielt: Wer sich nicht innerhalb einer Woche impfen ließ, dem wurde mit Sperrung des Handys gedroht.

Interessanter Ansatz, so etwas würde in Deutschland die Impfpflichtdebatte erübrigen! Was bleibt nach dieser außergewöhnlichen Reise vor allem bei Ihnen hängen?

Die Gastfreundschaft der Menschen war herzergreifend. Und dass sie den weißen Pakistani, der hier in den 80er Jahren und zuletzt 1990 gespielt hat, noch so intensiv in Erinnerung haben, ist kaum vorstellbar. Da wurden in TV-Sendungen Szenen und Bilder von früher herausgekramt, das war schon unglaublich emotional. Da standen auch mir oft die Tränen in den Augen. Ich glaube wirklich, dass der Deutsche Hockey-Bund gut beraten wäre, die pakistanisch-deutsche Hockeyfreundschaft wieder aufleben zu lassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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