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Jens George: "Es ist nie jedes Jahr das Gleiche"

23.05.2022

Nach einer gefühlten Ewigkeit wird Jens George in wenigen Wochen seinen Job als Bundesligatrainer niederlegen. 23 Jahre lang war er beim Club an der Alster Hamburg für die 1. Damen zuständig - Ligarekord! Im Gespräch mit DHZ-Mitarbeiterin Claudia Klatt blickt der 53-Jährige auf diese Zeit zurück, die mit einem Doppelabstieg (!) begann, aber schließlich doch acht nationale und drei internationale Titel für die Alster-Damen und ihn brachte. Als Jugendtrainer bleibt "Maus" George dem Hockeysport erhalten.

Herr George, wie bleibt man so lange Damentrainer?
JENS GEORGE: Das kann ich eigentlich nicht so genau sagen. Ich glaube, man muss immer wieder einen Ausgleich für sich selbst schaffen. Man kann nicht davon ausgehen, dass man alles immer auf die gleiche Art und Weise schafft, sondern muss sich immer hinterfragen. Die Auszeiten waren für mich extrem wichtig - ob Urlaub oder der zweite Beruf als Tischler – und haben sehr geholfen, die Balance zu erhalten und nicht nur auf Hockey fokussiert sein zu müssen.

Wie sind Sie überhaupt zu Alster und den DCadA-Damen gekommen?
Ich bin damals von Rüsselsheim zu Alster als Spieler gewechselt und hatte auf dem A-Lizenz-Trainerseminar den damaligen Alster-Damentrainer Mathias Ahrens kennengelernt, der mich gebeten hat, ihn ein bisschen als Co-Trainer zu unterstützen. Als er ausschied, war ich dann voll verantwortlich.

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Jahr als Alster-Damentrainer? Mit Ihrem Team stiegen Sie sowohl in der Halle (Saison 1998/99) als auch im Feld (1999) aus der Bundesliga in die Regionalliga Nord ab. Hätten Sie da am liebsten gleich wieder aufgehört?
Das war tatsächlich die erste Erfahrung, die ich bei Alster gemacht habe, und ich war natürlich ein bisschen am Zweifeln. Der Club und die Damen haben an mir festgehalten, und dann ging es ja relativ schnell aufwärts: Zumindest in der Halle sind wir direkt wieder aufgestiegen, sind im zweiten oder dritten Jahr Deutscher Pokalsieger auf dem Feld geworden, und sind, als wir wieder in die Feld-Bundesliga aufgestiegen waren, direkt ins Finale der Deutschen Meisterschaft gekommen - auf einmal stand man ganz gut da.

Trainer Jens George im Kreis seiner Bundesliga-
damen vom Club an der Alster Hamburg. Szene vom September 2020. Foto: Imago

Haben Sie dann mal ans Aufhören gedacht oder haben die Abstiege Sie angespornt, dranzubleiben?
Ich habe da gar nicht so viel bewusst drüber nachgedacht, sondern gedacht, ich mache weiter, wenn der Club das möchte. Ich hab schon an mich geglaubt, dass ich das kann. Es ist meiner Meinung nach auch ganz wichtig, dass man sich einbringt und nicht selbst an sich verzweifelt, sondern auch bei sich bleibt. Das habe ich gemacht, und es war anscheinend die richtige Entscheidung.

Wie Sie gesagt haben, standen Sie dann drei Jahre später mit den Alster-Damen erstmals in einem DM-Endspiel (Feld 2002). Ist tatsächlich etwas dran an dem Spruch: Man muss ein Finale erst einmal verloren haben, bevor man dran ist zu gewinnen?
Wenn es so schnell geht mit den Aufstiegen aus der zweiten Liga in die erste Liga, dann rechnet man gar nicht damit. Bei vielen Sachen ist es so, dass man sich vornimmt, zum Beispiel erst mal zur Endrunde kommen, obwohl vom Kopf her eigentlich wichtig wäre zu sagen: "Ich will Deutscher Meister werden!" Psychologisch könnte beim ersten Szenario schon Spannung abfallen, denn man hat das gesetzte Ziel ja schon erreicht. Das Ziel sollte man sich jedoch immer sehr hoch setzen. Am Anfang macht man es noch nicht, weil man erst einmal zufrieden ist mit dem, was man schon geleistet hat, und dann ist eine Niederlage vielleicht zwangsläufig. Ich kenne keinen Trainer, der gleich beim ersten Mal Deutscher Meister geworden ist. Jeder hat seine Erfahrungen gemacht, und ich glaube, dass es schon irgendwie dazugehört, erst einmal zu verlieren.

Sie sind also in kürzester Zeit vom Zweitligisten zu einer richtigen Topmannschaft geworden. Waren es die Spielerinnen, war es Ihr Input, war es die Attraktivität von Alster als Verein? Oder haben Sie viele Spielerinnen aus der eigenen Jugend dazubekommen?
Es gab sicherlich ein paar Spielerinnen aus der eigenen Jugend, aber es war von allem etwas. Es kamen die richtigen guten Leute dazu, zum Beispiel Victoria Overlack, die ich noch aus meiner Frankfurter Zeit kannte, eine absolute Teambuilderin. Wenn die sich Ziele selber ausgucken und die anderen mitnehmen, hilft einem das schon sehr. Vielleicht ist es die Empathie, die ich ausstrahle, denn ich bin, glaube ich, ein sehr freundlicher und lebensfroher Mensch, und auch das hilft. Damals war Hockey noch nicht ganz so ernst, viele haben vielleicht den Spaß gesehen, den wir hatten, und wollten dem folgen. Meinen Trainerberuf habe ich in den ersten zehn Jahren auch nie als Beruf, sondern immer als Hobby gesehen und habe immer Spaß gehabt. Das ist auch heute noch so und sollte auch viel mehr noch so sein, ist es aber oft nicht mehr, weil heute eine viel größere Ernsthaftigkeit und viel größerer Zwang herrscht und viel verloren gegangen ist.

Wenn Sie die Damen-Bundesliga von 1999 und heute vergleichen – was hat sich im Lauf der Jahre am meisten verändert?
Das Spiel ist ganz klar anders geworden. Die Professionalität ist größer geworden, das zeigt sich vor allem an der Anzahl der Länderspiele und das Bemühen, die Nationalmannschaften mit der FIH Pro League auf ein anderes Level zu hieven. Ob sich Hockey besser vermarktet, würde ich bezweifeln, da habe ich in den 20 Jahren keine großen Veränderungen festgestellt, die Zuschauerzahlen sind auch nicht größer geworden. Es muss sicherlich was passieren, weil man sonst in der Anonymität versinkt. Es macht jedoch auch einiges kaputt, denn wenn ich die Belastung der Nationalspieler sehe und was dabei rauskommt, finde ich es mittlerweile nicht mehr gut. Meine Spielerinnen hatten kürzlich sechs oder sieben Bundesliga- und Pro-League-Spiele innerhalb von neun Tagen - das muss man mal in einer anderen Sportart bringen! Dort  sind die Sportler Profis, werden dafür bezahlt und haben Erholungspausen und Rundumbetreuung – das ist beim Hockey nicht gegeben. Alle gehen Berufen, Ausbildungen oder Studien nach. Für mich passt die Mischung nicht in der Anhäufung der Spiele und der doch fehlenden Professionalität.

Verliert man also mittelalte Spieler zu früh? Die Kader werden immer jünger.
Ich glaube, man verliert solche Spieler und Spielerinnen für die Bundesliga, denn es gibt schon eine Tendenz, früher aufzuhören, weil die Belastung mehr wird, man mehr gefordert und unterwegs ist, vor allem als Nationalspieler/in. Unsere Gesellschaft ist dem Leistungsdruck unterlegen. Keiner wird mit Hockey Geld verdienen, und der Druck für eine berufliche Karriere ist also da. Man muss heutzutage früher mit der Schule fertig sein, früher mit dem Beruf fertig sein, das Studium schneller durchziehen. Die Gesellschaft legt einem Zwänge auf.

Sie haben mit den Alster-Damen drei Europacupsiege (Halle), sieben DM-Titel (5 Halle, 2 Feld) und einmal den Deutschen Hockeypokal gewonnen. Jeder Titel hat seine eigene Geschichte. Gibt es eine „beste“ von diesen elf Titelgeschichten?
Ganz außergewöhnlich war sicherlich damals der Europacupsieg in der Ukraine in Sumi. Vor allem jetzt im Nachhinein, weil der Kontrast von dem, was man damals erlebt hat mit der Herzlichkeit und Freundlichkeit der Menschen und was heute da passiert, so krass ist. Natürlich ist auch der erste deutsche Meistertitel (2006 Halle) etwas Besonderes. Auch der erste Feldtitel (2018) in Krefeld – alles, was man das erste Mal erlebt, ist etwas Besonderes. Das möchte ich nicht missen. Der letzte Hallentitel (2020) war auch ganz schön, weil wir den ja ohne die ganzen Nationalspieler geschafft haben und es ein ganz tolles Mannschaftsgefühl in der Truppe war. Jeder, der dabei war, hat das irgendwie mitgestaltet. Man hat sich nicht auf anderen ausgeruht, was schnell mal passiert, sondern jeder musste sich selber einbringen, und das spiegelt sehr stark wider, wofür ich stehe. Ich stehe eigentlich für den Mannschaftssport und das Gemeinschaftsgefühl, und das wurde da bestens transportiert.

16 Jahre nach der ersten Teilnahme an einem DM-Endspiel klappte es für Jens George und seine Alster-Damen auch mit dem Feldtitel: Deutscher Meister 2018 in Krefeld. Foto: Imago

Sie haben als Clubtrainer einer Top-Bundesligamannschaft zahlreiche Spielerinnen mitentwickelt, die dann auch in der Nationalmannschaft ihre Karriere machten. Welche Alster-Spielerin hat Sie rückblickend am meisten überrascht, was ihren Werdegang auf internationaler Bühne angeht? Und andersherum: Welches war das größte Talent im Alster-Trikot, aus dem nie eine Nationalspielerin wurde?
Ich würde nie sagen, dass ich die entwickelt habe. Die sind teilweise schon sehr gut ausgebildet zu mir gekommen, ob von Alster oder woanders her. Als hervorragenden Ausbilder würde ich mich nicht bezeichnen. Ich versuche eher, andere Sachen mitzugeben. Oftmals habe ich schon gestandene Persönlichkeiten gehabt, was sich erst in den letzten Jahren verändert hat. Momentan macht mir Hanna Granitzki total Spaß, weil sie ein guter Typ und ein absoluter Teamplayer ist. Eine Emily Kerner war schon ein großes Talent, die hat sich leider dafür entschieden, in eine andere Richtung zu gehen. Das fand ich schon sehr schade, habe aber keine Ahnung, woran es bei ihr lag.

Sie haben als Grund für das Aufhören angegeben, Sie hätten „...gespürt, dass die Mannschaft eine Veränderung, einen neuen Input braucht...“ – gab es dieses Gefühl in den ganzen Jahren zuvor gar nicht? Oder nur in geringem Maß? Warum ist der Zeitpunkt gerade jetzt?
Wahrscheinlich hätte ich einen besseren Zeitpunkt aussuchen können, zum Beispiel nach der letzten gewonnenen deutschen Meisterschaft. Letztendlich gab es den Zeitpunkt irgendwie nicht, und man hatte dann wieder den Europacup vor Augen, den man noch mitmachen wollte … vielleicht wäre dieser Zeitpunkt auch noch einen Tick früher gewesen ohne Corona, was doch viel Lebensplanung durcheinandergebracht hat. Durch meine Hochzeit gab es bei mir eine klare Veränderung. Vor drei Jahren habe ich meine Frau kennengelernt, und dann kommt mal der Punkt, wo man es schön findet, etwas Zeit zu Hause zu haben, auch am Wochenende und am Abend. Letztlich ist Hockeytrainer ein nicht gerade familienfördernder Beruf, weil man ja häufig aus dem Haus geht, wenn andere von der Arbeit kommen. Wenn man drei Mal in der Woche erst um 23 Uhr nach Hause kommt und am Wochenende auch immer unterwegs ist, dann bleibt halt nicht viel Zeit für Gemeinsamkeit. Das war sicherlich ein Punkt. Auch die Veränderung, die mit Vali Altenburg als Co-Trainer kam, hat die Mannschaft verändert. Es entstanden andere Sichtweisen, es gab andere Schwerpunkte für die Mannschaft und eine andere Sprache. Ich musste lernen, Dinge abzugeben, ich war kein Alleinunterhalter mehr. Das fiel mir schwer, und das war ich auch nicht mehr. Es war nicht mehr meine Sprache und meine Philosophie. So hat es mir ein wenig die Augen geöffnet, und der Gedanke entstand, abzugeben und etwas Neues zu machen.

Sie wechseln nun zur Jugend – wieso gehen Sie nicht ganz raus aus dem Hockey, oder ist der Arbeitsplatzwechsel zum Jugendbereich schon die Veränderung oder der Perspektivwechsel?
Ich glaube, diese Veränderung ist genug für mich, es ist eine andere Herausforderung, etwas von kleinauf zu entwickeln und selbst mal zu probieren, ob man das überhaupt kann. Ich habe mein Leben lang eigentlich nur Damen trainiert und vielleicht mal eine weibliche Jugend B, es ging immer um Meisterschaften. Dazu kommen natürlich die etwas angenehmeren Arbeitszeiten. Sicherlich gibt es da auch andere Probleme, mit Eltern, mit Kindern, die man im Erwachsenenbereich vielleicht nicht so kennt, aber ich glaube auch, dass ich da gestanden genug bin als Trainer, um mich aus der Ruhe bringen zu lassen. Vielleicht schauen andererseits die Kinder auch anders auf mich, wenn sie wissen, dass ich mal Bundesliga-
trainer war.

Stand es schon mal in den Jahren auf der Kippe, dass Sie sogar hinschmeißen?
Es gab immer mal Momente, wo man sich fragt, ob man sich das weiter antut, aber ich habe meine Auszeiten genommen, war den Sommer über mit meinem Rucksack unterwegs und habe mich dann sechs Wochen am Amazonas oder irgendwo eingeschlossen und hab mich mit Hockey gar nicht mehr beschäftigt. Dann kam die Lust schon von alleine wieder, und es gab ja dann doch immer wieder Veränderungen.

Wollen Sie weiter verstärkt reisen?
Ich will auf jeden Fall weiter reisen. Die Welt ist immer noch groß und interessant genug. Die Art und Weise wird vielleicht verändert, meine Frau möchte auch gerne mit, und ich denke über ein Jahr Auszeit nach und dann mit nem Jeep oder Bus durch die Welt zu reisen. Da habe ich noch viele Ziele vor mir und dazu zu viel Neugier auf andere Kulturen und Erlebnisse. Das erdet einen auch immer wieder. Wenn man das Leben in vielen Ländern erlebt hat, dann weiß man, wie gut es einem hier in Deutschland eigentlich geht.

Ihr anderes Hobby, die Arbeit als Tischler, wollen Sie auch weitermachen?
Das habe ich eigentlich vor, es ist immer ein  guter Ausgleich und etwas, was den Kopf
 frei hält. Man hat mit Leuten außerhalb des Hockeys zu tun und schafft etwas mit den Händen. Ich entwerfe vieles, zeichne Möbel und habe Spaß daran. Man fokussiert sich anders, und es ist sicher auch mit ein Grund gewesen, wodurch das so lange funktionieren konnte.

Was ist wichtig für Sie in einer Mannschaft? Wie sehen Sie, was die Spielerinnen brauchen?
In der Phase, in der wir jetzt sind - auch mit den vielen Ausfällen und Veränderungen –, braucht es vor allem mannschaftlichen Zusammenhalt. Ich glaube, dass meine Stärke in der Motivation liegt, die Leute entsprechend anzusprechen. Ich habe mich sehr damit beschäftigt, dass sich sehr viel mehr psychologisch abspielt, und man muss sich Gedanken machen, wie man das anspricht und die Stärken bei seinen Spielerinnen herauskitzelt. Doch auch da hat sich viel verändert, und ich weiß nicht, ob ich die Leute noch erreiche. Das ist ja auch das Spannende am Trainerjob, dass es nie jedes Jahr das Gleiche ist, sondern dass man sich immer wieder neu Gedanken machen muss. Ich habe nie Zettel aus dem Training aufbewahrt, nie irgendwelche Reden aufbewahrt. Nach jedem Training nehme ich meinen Zettel und zerknülle den. Es hilft und ist wichtig, sich ständig neue Gedanken machen zu müssen. Und das muss eine Mannschaft auch, finde ich.

Wie schauen Sie auf die letzten Spiele? Das Ende ist ja nun sehr absehbar...
Ich bin völlig entspannt und frei und sehe dem Ganzen sehr positiv entgegen. Es würde mich natürlich freuen, wenn wir nochmal mit einem Titel da rausgehen würden, aber letztendlich werden mir die anderen Mannschaften den Titel nicht schenken, nur weil ich 23 Jahre Damentrainer bin. Ich denke, bei so einer DM-Endrunde spielt immer das Glück ein bisschen mit. Eigentlich mache ich mir gar nicht so viele Gedanken. Ich versuche, die Mannschaft bestmöglich vorzubereiten, damit wir das Maximum aus uns rausholen können. Und wenn es nicht reicht, dann reicht es halt nicht.

Was würden Sie jungen Trainern raten?
Solange wir keine Vollprofis sind, ist es, glaube ich, eine wichtige Sache mit dem Spaß. Man wird vielleicht seinen Lebensunterhalt als Trainer finanzieren können, aber nicht reich dabei werden. Daher ist es so wichtig, Bock auf die Sache zu haben und Spaß zu haben. Natürlich macht Siegen am meisten Spaß, aber den Spaß insgesamt dabei zu behalten, auch wenn man mal verliert, das war für mich immer ein sehr wichtiger Punkt. Es ist einfach schön, wenn man sagen kann, dass man sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Das zu erhalten ist die größte Herausforderung für einen selber.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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