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Christian Blasch: „Wir haben uns in den letzten Jahren viel zu viel gefallen lassen“

09.04.2023

Der Schiedsrichter- und Regelausschuss (SRA) des Deutschen Hockey-Bundes sieht die Zeit gekommen, einige Dinge anders zu handhaben als zuletzt. Vor allem das ständige Reklamieren durch Spieler und teilweise auch das Bedrängen der Unparteiischen soll ab sofort strenger geahndet werden. Christian Blasch, stellvertretender Vorsitzender des SRA und dort für das Regelwerk zuständig, hat im jüngsten Briefing eine konsequente Vorgehensweise der Bundesliga-Schiedsrichter angekündigt.

Im Gespräch mit DHZ-Redaktionsleiter Uli Meyer und den beiden DHZ-Podcast-Stimmen Sören Wolke und Chris Faust erklärt Blasch das Vorgehen und die Hintergründe. Dass der 47-Jährige alles andere als ein Theoretiker ist, zeigt seine Vita als Deutschlands erfolgreichster Schiedsrichter mit vier Olympiateilnahmen und einem Rekordwert von 626 Bundesliga-Einsätzen.

Liest man das aktuelle SRA-Briefing zum Start der Rückrunde 2023 in den Feld-Bundesligen, so sticht heraus, dass die Schiedsrichter ständiges Reklamieren „konsequent und frühzeitig“ mit persönlichen Strafen zu ahnden haben. Auch „lautes Schreien von der Bank“ gehört dazu. Was hat Sie und den SRA zu dieser Betonung der Regelauslegung zum jetzigen Zeitpunkt gebracht?
CHRISTIAN BLASCH: Das ist ja nicht ganz neu. Wir erstellen seit drei Jahren jede Saison ein umfangreiches Briefing. Da sind auch viele Videos integriert, wie wir uns bestimmte Auslegungen wünschen, seien es Schlenzbälle, Foulspiel, Ball über die Grundlinie spielen und manches mehr. Da stehen auch schon seit zwei Jahren Vorgaben zum Thema Kommunikation und zum Vorgehen bei Reklamieren drin. Wir haben das Thema erneut aufgegriffen, weil die Tendenz seit längerer Zeit zu erkennen ist, und jetzt noch mal nachgebessert, weil wir erkannt haben, dass der Umgangston einfach rauer geworden ist. Wir lassen uns da viel zu viel gefallen, auch der Außenwirkung für so ein Prestigeprojekt Hockeyliga wird so etwas nach unserer Meinung einfach nicht gerecht. Da müssen wir einfach dringend gegensteuern. Die normale Kommunikationslinie zwischen Schiedsrichtern und Spielern soll natürlich beibehalten werden, aber das übermäßige Reklamieren, Kommentieren, Rumbrüllen muss jetzt einfach konsequent geahndet werden. Solche Vorfälle sind vermehrt auch schon in den Jugendbereich eingezogen. Das alles hat uns im SRA bewogen, eine Klarstellung im aktuellen Feld-Briefing vorzunehmen.

Ist die Vorgehensweise „Kommunikation statt Strafen“ letztlich gescheitert? Weil die Spieler die Grenzen immer weiter verschoben haben?
Pauschal ist das nicht immer ganz so einfach zu beantworten. Ich bin weiterhin fest der Meinung, dass Kommunikation in der Summe unser wichtigstes Managementtool ist. Das Ganze steht und fällt damit, dass wir mit den Spielern auf irgendeiner Ebene kommunizieren müssen. Es geht aktuell in erster Linie um den allgemeinen Umgangston. Wenn ein Spieler nett fragt, kriegt er vom Schiedsrichter auch ‘ne nette Antwort. Doch mittlerweile scheint sich jeder genötigt zu fühlen, jede zweifelhafte Entscheidung zu kommentieren und zu diskutieren. Jeden Pfiff zu hinterfragen, das hat eine scheinbare Normalität angenommen, die einfach über das Normale hinausgeht. Wie gesagt: Kommunikation muss nach wie vor größter Baustein unserer Pfeiferei sein, aber eben unter gewissen Spielregeln.

Christian Blasch ist seit 1995 Bundesliga-Schiedsrichter. Seit 2009 gehört der Mülheimer dem DHB-Schiedsrichter- und Regelausschuss an. Foto: Kramhöller/Archiv

In einem Schreiben an die Hockeyliga räumen Sie auch eigene Fehler der Schiedsrichter ein, die die „negative Entwicklung zum Teil selbst zu verantworten“ hätten, weil „über Jahre hinweg das Fehlverhalten auf dem Platz ohne große Gegenwehr hingenommen und nicht geahndet wurde“. Die „lange Leine“ habe sich als „völlig falsche Strategie erwiesen“ – wann und wie reifte diese Erkenntnis?
Ich habe das in dem Brief vielleicht etwas dramatisch dargestellt. In erster Linie bin ich immer Freund von intensiver Kommunikation gewesen. Aber man darf da eben nicht eine gewisse Konsequenz außer Acht lassen. Deswegen müssen wir uns als Schiedsrichter ein wenig den Schuh selbst anziehen, dass wir uns in den letzten Jahren viel zu viel haben gefallen lassen. Wir haben ja keine Regeln geändert, wir haben immer die Tools gehabt, um zu sagen: So geht das nicht, da müssen wir einschreiten und eine Karte geben. Ich glaube, wir haben es einfach unter dem Aspekt der Kommunikation ein bisschen zu weit getrieben. Man muss jetzt das Rad ein wenig zurückdrehen, um nicht vom Weg abzukommen.  

Was wird man in den nächsten Wochen auf den Bundesligaplätzen erleben: Eine Flut an Gelben Karten? Oder Spieler/Trainer, die „plötzlich“ ganz ruhig und diszipliniert sind? Oder Schiedsrichter, die die vom SRA vorgegebene Linie nicht konsequent anwenden oder nicht „durchhalten“?
Gute Frage. Wenn man manche Regeländerungen der letzten zehn Jahre Revue passieren lässt, dann dachte man oft: Oh je, wie soll das funktionieren, vor allem in den unteren Ligen? Und am Ende lief es dann doch relativ problemlos. Wir hatten zum Beispiel den Selfpass, wo jeder dachte, das gibt eine Katastrophe. Oder das Spielen des Balles in der Luft, wo viele regelrecht Mord und Totschlag kommen sahen. Irgendwo waren die Befürchtungen oft größer, als es nachher dann gekommen ist. Mir ist einfach der offensive Umgang mit der ganzen Thematik wichtig. Das heißt, dass niemand wirklich überrascht wird, wenn es jetzt für bestimmte Dinge Karten gibt. Wir haben es offen kommuniziert und gehen davon aus, dass das auch alle gelesen haben, es sollte jedem klar sein. Also es kann durchaus sein, dass in den ersten paar Spieltagen ein bisschen intensiver die Karten gezogen werden. Aber meine Erfahrung der letzten Jahre ist, dass sich das schnell regulieren wird. Vorausgesetzt die Akzeptanz ist irgendwo da. Von den Schiedsrichtern her gesehen hat jeder natürlich eine individuelle Hemmschwelle, was er „mit sich machen lässt“. Da ist der eine etwas schneller bei den Karten, während der andere eine ähnliche Situation doch noch auf andere Weise zu klären versucht. Wir haben jetzt einfach eine Richtlinie rausgegeben. Und da erwarten wir jetzt natürlich auch, dass sich die Schiedsrichter daran halten. Es wird auch innerhalb der SR-Gruppe viel diskutiert. Aufgrund der vielen Streams in der ersten Liga gibt es praktisch keine Geheimnisse mehr. Man weiß Sonntagabend sofort, wo was in die Hose gegangen ist. Insofern ist für alle der Druck jetzt ein bisschen da, sich an die Vorgaben zu halten.   

Inwieweit verändert das auch die Ausbildung von Nachwuchs-Schiedsrichtern? Das Kommunikationsmanagement ist ja gerade in jungen Jahren nicht immer ganz so einfach zu handhaben.
Meine Erfahrung, auch aus vielen Jahren der Ausbildung von BL-Schiedsrichtern, ist, dass man schon versuchen muss, das Ganze relativ einfach darzustellen. Oft ist es so, dass die Schiedsrichter mit der Freiheit des Spielmanagements, das man für sie anfangs auch haben wollte, vielleicht überfordert sind. Sie brauchen doch eher ein bisschen Anleitung und wollen Vorgaben haben, um sich auch ein wenig – das ist positiv gemeint – dann dahinter verstecken zu können. Dann ist nicht der Einzelne Schuld, sondern der SRA.

Sie haben sich gegenüber der Hockeyliga dafür stark gemacht, automatische Spielsperren nach drei gelben Karten einzuführen, wie es früher der Fall war. Oder ein Punktesystem, wie es international bei der Pro League angewendet wird. Würde das viel helfen?
Es wäre vielleicht ein kleiner Baustein, der hilft. Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass ein gewisses Verhalten über die ganze Saison hinweg auch Auswirkung haben muss. Wenn man sich unnötig Karten wegen Meckerns abholt und sich das summiert, dann muss man halt irgendwann mal aussetzen. Ich kann mir schon vorstellen, dass das positive Auswirkungen auf ein Verhalten haben würde. Vielleicht hält sich mancher zurück, wenn ihm sonst eine Spielsperre droht.

Das sogenannte Crowding – wird das jetzt in der Bundesliga auch so gehandhabt wie international?
Das ist - wie schon im vergangenen Jahr übrigens – Teil des Briefings. Wir haben uns da an der FIH orientiert. Gerade bei kritischen Situationen im Schusskreis, wo man als Schiedsrichter ohnehin die Nähe zu Spielern hat, ist es völlig in Ordnung, wenn zum Beispiel nach einer umstrittenen Eckenentscheidung ein Spieler sich dem Schiedsrichter zuwendet und eine Frage stellt. Aber wenn dann gleichzeitig mehrere Spieler den Schiri bestürmen, dann ist das eine Situation, die wir nicht haben wollen. Wir wollen mit einem einzigen sprechen, bestenfalls dem Kapitän, und alle anderen, die sich da bemüßigt fühlen, auch noch dazuzukommen, müssen mit einer Karte rechnen. Da ist die FIH-Handhabung auch ganz eindeutig.

Diejenigen, die international pfeifen, erleben die Diskrepanz zur Bundesliga. Haben Sie persönlich das auch erlebt, dass sich Nationalspieler bei Länderspielen sehr diszipliniert verhalten, aber sich national manchmal ganz anders gegenüber den Unparteiischen geben?
Das ist schon erkennbar. In der Bundesliga haben die Spieler einfach mehr Zeit oder nehmen sich diese, um manche Sachverhalte mit dem Schiedsrichter zu besprechen. International geht das so gut wie nicht. Da begeben sich die Spieler nach einer gezeigten Karte meist ganz schnell Richtung Strafbank, weil erst beim Erreichen dieser die Strafzeit abzulaufen beginnt und das Spiel meist sehr schnell weitergeht. Das ist ein großer Unterschied zur Bundesliga.

Gibt es bei den Schiedsrichtern eigentlich einen Nationalspieler-Bonus, gerade in Zusammenhang mit Meckern, Lamentieren?
Im Unterbewusstsein kann das sein, dass man bei „großen“ Namen etwas großzügiger ist. Dass man sich vielleicht aus Respekt vor dessen spielerischer Leistung unterbewusst mehr gefallen lässt als von einem x-beliebigen Bundesligaspieler. Das will ich nicht ausschließen. Für mich selber habe ich mir immer den Maßstab gesetzt: Jedes Spiel ist ein neues, auch im Umgang mit Spielern, wo es vielleicht mal Probleme gab. Wir setzen alles immer wieder auf Null. Jeder ist gleich. Damit bin ich immer gut gefahren. Ich spreche da für mich, will es nicht pauschalieren.  

Gerade Nationalspieler sind Vorbilder für andere, hauptsächlich die Jugend. „Lernt“ der Nachwuchs damit auch das Fehlverhalten gegenüber Schiedsrichtern? Man hörte zuletzt vermehrt von schlimmen Vorfällen gerade auch im Jugendbereich, wo neben den Akteuren vor allem auch Trainer, Betreuer oder Eltern sich nicht immer im Griff hatten. Das dürften dann Momente sein, wo speziell Nachwuchsschiris sich zweimal überlegen, ob das auch künftig ihr Sport sein soll.
Ja, absolut. Ich habe selber einen Sohn, der U14 spielt. Ich bin da oft mit dabei und sehe also nicht nur Dinge, die in der Bundesliga vorfallen. Dass man Fehler macht, ist Teil des Spiels. Schiedsrichter machen genauso ihre Fehler, wie sie Spieler machen. Das ständig zu kritisieren, scheint mir auch ein gesellschaftliches Problem zu sein. Ich weiß nicht, ob sich da viel aufgestaut hat in letzten Jahren oder ob manche am Wochenende auf dem Sportplatz ein Ventil brauchen. Dann wird sich selbst an Jugendschiedsrichtern abreagiert, weil man ja immer einen „Schuldigen“ finden muss. Da muss jetzt ganz klar von Verbänden oder bei kleinen Turnierformen auch von dem gastgebenden Verein absolut gegengesteuert werden. Da ist der Punkt erreicht, wo man jungen Leuten auch den Spaß am Pfeifen und vielleicht am ganzen Sport versaut. Der Respekt für denjenigen, der sich da hinstellt und pfeift, muss einfach vorhanden sein. Jeder Spieler weiß ganz genau, was angeblich gerade wieder falsch gepfiffen wurde. Wenn er aber selber mal die Pfeife in die Hand nimmt und ein Spiel pfeifen muss, kommen viele oft nicht zurecht oder es fehlt von vornherein die Bereitschaft, das zu tun.

 Das sogenannte Crowding, also wenn sich mehr als ein Spieler dem Schiedsrichter nähert und dieser verbal bedrängt wird, soll konsequent mit einer Karte geahndet werden. Foto: Worldsportpics

Wie ist Ihre Einschätzung von der Entwicklung des Niveaus der deutschen Bundesliga-Schiedsrichter in den letzten 10 bis 15 Jahren? Ist es gleich geblieben, nach oben gegangen oder in der Breite schwächer geworden?
Wenn ein Bundestrainer aus 18 zur Verfügung stehenden Spielern 16 auswählen muss, dann hat er sicher nicht so viele Toptalente drin, als wenn er die 16 aus vielleicht 100 Kandidaten auswählen kann. Das Gleiche haben wir im Pfeifbereich auch. Wir haben in der 1. BL eine relativ hohe Altersstruktur. Also viel Erfahrung, wir haben aber auch wenig Konkurrenz in den letzten Jahren gehabt. Da ist kaum jemand nachgerückt. Da wird man dann natürlich ein bisschen faul. Nach dem Motto: Die brauchen mich sowieso, also warum soll ich da etwas tun? Fehlende Konkurrenz ist schon ein Problem. Wenn man in der Fußball-Bundesliga als Schiedsrichter mal drei, vier Spiele nachweislich nicht gut gepfiffen hat, dann ist man schnell mal raus oder kriegt halt keine Ansetzungen mehr, weil andere nachrücken. So was haben wir im Hockey natürlich nicht. Wir haben eine sehr überschaubare Spitze und nicht die Masse, wie man sie bräuchte. Aber es kommen ein paar Talente nach.

Stichwort „faul geworden“ - manchmal hat man den Eindruck, dass für einige Schiedsrichter das Spiel in manchen Situationen etwas zu schnell ist.
Da bin ich völlig bei Ihnen. Uns kommt etwas entgegen, dass wir in vier Vierteln spielen und nicht mehr in zwei langen Halbzeiten. Und durch die ganze Schlenzerei, die tendenziell mehr geworden ist gegenüber früher, brauchen wir jetzt ein ganz anderes Stellungsspiel. Mit faul meine ich auf jeden Fall das Beschäftigen mit Regeln und deren neueste Interpretationen, aber auch physisch. Es ist natürlich jedem Schiedsrichter selbst überlassen, wie oft er unter der Woche Sport betreibt. Es ist natürlich auch ein wenig Lebensphilosophie, ob man sich einigermaßen gesund ernähren und sportlich leben möchte. Aber auf jeden Fall muss man bei der Geschwindigkeit, die man im Leistungshockey vorfindet, eine gewisse Grundfitness haben. Da gibt es individuell hier und da sicherlich Defizite, das muss man leider so klar sagen.

Seit wie vielen Jahren gibt es den Fitnesstest nicht mehr?
Bestimmt schon fünf, sechs Jahre. Aber wir fangen jetzt wieder an damit. Wir reden ja viel über Quantität, aber wir müssen gleichzeitig versuchen, auch in Sachen Qualität dranzubleiben. Das sind nach unserer Meinung einfach auch Grundvoraussetzungen. Das ist ja auch die Kritik, die man sich gefallen lassen muss. Die Spieler sagen, wir trainieren viermal die Woche und spielen am Wochenende zweimal. Was macht ihr Schiedsrichter denn im gleichen Atemzug? Diese Kritik ist schon berechtigt. Einen Fitnesstest hatten wir in der vergangenen Feldsaison als Einstieg und auch mit gewisser Vorbereitungszeit, um mal wieder ein Gefühl dafür zu bekommen. Dieses Jahr machen wir den als verpflichtend, wo man bestehen muss, um aktuell dabei zu sein. Es geht uns in erster Linie darum, dass wir uns auf das Niveau, wie es auch athletisch gespielt wird, entsprechend vorbereiten und dem dann auch standhalten können.

Was macht der SRA, wenn auf einmal die Hälfte den Test nicht bestehen würde? Da könnte ja plötzlich die Hälfte der Bundesligaspiele nicht mehr mit Schiedsrichtern versorgt werden.
Wir müssen uns natürlich im Klaren sein, inwieweit wir das mit der Brechstange umsetzen können und wollen. Wir müssen erstmal wieder damit anfangen, uns sportlich weiterzuentwickeln und das als Maßstab zu nehmen, dass dann in den nächsten ein, zwei Jahren auch wirklich jeder besteht, der Bundesliga pfeifen will. Das ist ja beim Regeltest genau das gleiche. Es fallen auch heute noch manche durch den Regeltest. Das bedeutet bei uns aber nicht automatisch, dass er die ganze Saison überhaupt nicht mehr pfeifen darf. Aber eben dann vorübergehend nicht mehr innerhalb seiner bisherigen Qualifikation. Wir haben die Schiedsrichter entsprechend ihrer Stärke in gewisse Kader eingeteilt, in diesem Bereich bekommen sie normalerweise ja auch ihre Spiele. Da hätte es dann schon gewisse Auswirkungen. Im Fußball wären sie wahrscheinlich erstmal ganz raus für eine Saison, wir können uns aber so eine konsequente Umsetzung aktuell nicht erlauben. Aber wir müssen zumindest mal etwas Druck aufbauen, dass sich unser Kader weiterentwickelt.

Inwieweit droht in der Bundesliga in den nächsten fünf bis zehn Jahren ein Mangel an Schiedsrichtern, wenn die qualitativ hochwertige „alte Garde“ aufhört?
Die Altersgrenze von 47 Jahren, die in der Fußball-Bundesliga gilt und im Hockey international, gibt es ja in der Hockey-Bundesliga nicht. Wenn jemand fit ist und Lust und Zeit vorhanden sind und auch die Leistung noch stimmt, dann dürfen sie erstmal weiterpfeifen. Aber früher oder später wird der Punkt kommen, wo wir von unten die Leute nachschieben müssen. Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren viel Zeit und Geld in Vorbereitungslehrgänge und Sichtungen investiert, haben wirklich fast alle mal gesehen und konnten so ein Bild gewinnen, wie sich jemand entwickelt hat. Und wir konnten auch einigen Nachwuchsschiedsrichtern nach den U18-Endrunden bescheinigen, dass wir ihnen das zutrauen, Bundesliga zu pfeifen. Die schieben wir nun oben rein. Jetzt muss man allerdings noch die Kombination über die Ansetzungen hinkriegen, dass die Jungen von den Alten lernen können und nicht bei den ersten Spielen alleine gelassen werden. Dass die neue Generation irgendwann die alte ablöst, ist doch ganz klar, das wird kommen.

Laut DHB-Haushaltsplan stehen dem SRA in 2023 nur 40 000 Euro für Maßnahmen zur Verfügung. Müsste man nicht viel mehr machen, aber die finanziellen Mittel sind nicht da?
Das ist ja nicht nur im Schiedsrichterwesen der Fall, dass im deutschen Hockey sehr viel durchs Ehrenamt gestemmt wird. Durch Idealisten, die Spaß an der Sache haben, aber zeitlich eben limitiert sind, weil es neben ihrem Berufsalltag läuft. Da ist die Situation beispielsweise in Holland ganz anders. Dort sitzen drei oder vier Hauptamtliche beim Verband, die sich um Schiedsrichterarbeit kümmern. Da kann man dann natürlich deutlich mehr bewegen und deutlich schneller bestimmte Sachen auf die Schiene bringen. Verbunden mit viel mehr finanziellen Mitteln, als wir sie bei uns zur Verfügung haben. Hockey ist in Deutschland immer schon ein Amateursport gewesen. Damit muss man irgendwie klarkommen.   

Ohne Schiedsrichter gibt es kein Spiel mehr. Die Leute müssen es einfach mal verstehen, die Haltung gegenüber der Schiedsrichterei muss sich ändern.
Da geb‘ ich Ihnen recht. Wir sind da bereits im Austausch mit der Hockeyliga und dem DHB, dass wir eine Imagekampagne auf den Weg bringen müssen. Die Rolle des Schiedsrichters muss eine andere Wertigkeit bekommen, er ist einfach Teil des Sports.

Dabei kann sich das deutsche Hockey auf keiner Ebene leisten, Schiedsrichter zu verlieren. Wie wollen Sie die Verbände und Vereine in die Pflicht nehmen, dass sich alle Beteiligten gegenüber Schiedsrichtern fair verhalten und außerdem für neue Unparteiische sorgen?
Da muss ich vielleicht etwas weiter ausholen. Wir haben ja im deutschen Hockey, im DHB, einen Föderalismus. Jeder Landesverband kann da theoretisch erstmal machen, was er für richtig hält. Wir als DHB können im Prinzip auch nur Schiedsrichter weiterbilden, die uns von den Landesverbänden gemeldet oder zur Verfügung gestellt werden. In den Verbänden ist die Situation oft noch prekärer als beim DHB, da werden ja einzelne Ligen zum Teil gar nicht mehr angesetzt, weil keine Schiris mehr da sind. Es fehlt uns einfach die Breite. Es ist natürlich auch eine Gratwanderung. Klar fordern wir gewisse Talente ein und können den Verbänden ihre Topleute aus deren höchsten Ligen damit auch wegnehmen, wenn wir sie in die Bundesliga holen. Es ist ein zweischneidiges Schwert, wenn den Verbänden dann dadurch weiter gute Schiedsrichter „verloren“ gehen, wenn die dann vorwiegend eben Bundesliga pfeifen.
Die Situation wird nicht über Nacht besser, sondern ist sicherlich ein Projekt von mehreren Jahren. Wir müssen in den Clubs anfangen und dort die Trommel rühren. Ich glaube, dass wir den Einstieg in die Materie vereinfachen müssen. Da sind wir bereits im engen Austausch mit den Landesverbänden, der DHB muss da Ausbildungsmaterialien und Schulungsdinge zur Verfügung stellen. Der Dachverband ist grundsätzlich verantwortlich für Ausbildung und Inhalte, für die Umsetzung dann eher die Landesverbände. Seit zwei Jahren gibt es alle paar Wochen einen Online-Austausch mit den Landesverbänden. Da geht es zum Beispiel um die Vereinheitlichung von Lizenzen, um Ausbildungsinhalte. Mit DHB-Sportdirektor Martin Schultze und Direktor Bildung, Stephan Haumann, sowie der Hockeyliga wollen wir ein Medium schaffen, wo wir den Einstieg zur Schiedsrichter-Materie vereinfachen wollen. Das ist noch ein wenig Zukunftsmusik, aber anders wird’s nicht gehen. Wir wollen zeigen, wie cool es sein kann, Schiedsrichter zu sein.

Im Alltag ist das Image aber meist nicht so gut. Erschrecken Sie sich eigentlich ebenso wie wir über so manchen Kommentar in den Livestreams, wenn über die Leistung der Schiedsrichter gesprochen wird? Wie muss da künftig Ihre Zunft besser geschützt werden, wenn Hockey ab der nächsten Feldsaison auf einer größeren Plattform laufen wird?
Ich finde es erstmal positiv, dass wir ab kommender Feldsaison flächendeckend wirklich von allen Erstligaspielen Streams haben werden. Man kann alles gucken. Bisher konnte ja jeder Verein machen, wie er wollte. Und bei den Beiträgen der Kommentatoren war hier und da sicher viel Luft nach oben. Es gehört einfach eine gewisse Neutralität dazu, auch wenn die Kommentatoren vom jeweiligen Heimverein stammen. Es liegt meiner Meinung nach auch in der Verantwortung der Hockeyliga, dass die Kommentatoren einen Leitfaden bekommen müssen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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