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Florian Keller: „Noch ist der ganze Verein in Schockstarre“

12.05.2023

Die Damen des Bundesligaaufsteigers Bremer HC wollten am letzten Spieltag mit einem Sieg über München (und ein wenig Schützenhilfe aus Köln) ins Viertelfinale einziehen. Doch dann der Schock: BHC-Nationalspielerin Lena Frerichs verletzte sich schon in der Anfangsphase schwer, der Verdacht auf Kreuzbandriss bestätigte sich am Tag danach. Die 0:4-Niederlage gegen den MSC und der Rückfall auf den letzten Tabellenplatz gerieten beinahe zur Nebensache. Wie Bremens Trainer Florian Keller (41) mit der neuen Situation umgeht, hat er im Gespräch im DHZ-Mitarbeiterin Claudia Klatt erzählt.

Herr Keller, so ein Spiel wie am Sonntag kann man sich als Trainer ja wohl kaum in den wildesten Träumen vorstellen?
FLORIAN KELLER: Nein. Wenn es nach gut fünf Spielminuten zu so einer schweren Verletzung von unserer wichtigsten Spielerin kommt und alle wissen, was für sie da dran hängt durch den Zeitpunkt der Verletzung (vor der EM und Olympia), nimmt das ja nicht nur Lena, sondern auch die ganze Mannschaft und alle Zuschauer mit. Wirklich alle waren in dem Moment in Schockstarre. Dementsprechend war das Spiel zu diesem Zeitpunkt fast zweitrangig. Natürlich kann man das nicht so sagen, wir alle haben versucht, dabeizubleiben, aber unsere Mädels waren zumindest eine Halbzeit lang richtig unter Schock, was auch sehr menschlich und zu verstehen ist. Dementsprechend war ich auch nicht enttäuscht von der Mannschaft, dass wir eine sauschlechte erste Halbzeit spielen, denn das ist ganz normal. Der Versuch, uns in der Pause zusammenzureißen und uns in der zweiten Halbzeit wieder zusammenzufinden als Team, war erfolgreich, und letztendlich haben wir dann noch ganz gut gespielt, uns ziemlich viele Chancen erarbeitet, auch Ecken, es war quasi ein ganz anderes Spiel als in der ersten Halbzeit. Ein bisschen Pech war dabei mit Pfostenschüssen und auf der Linie geklärten Bällen. Theoretisch hätte es also noch was werden können, aber irgendwie passte das auch zum Tag, zum Gesamtpaket, dass wir das Spiel auch verloren haben. Aber im ersten Moment war das allen gar nicht so wichtig.

 Bremens Trainer Florian Keller am Sonntag während des MSC-Spiels. Auch der Olympiasieger (2008) musste die Rückschläge verdauen. Foto: Kaste

Was Sie schildern, spricht dafür, dass es eine sehr enge Bindung in der Mannschaft gibt, denn die meisten Spielerinnen sind zusammen beim BHC groß geworden?
Ja, es ist fast die komplette Meistermannschaft der weiblichen U18 aus der letzten Hallen- und eigentlich auch Feldsaison. Wir spielen in der Liga mit 10 Spielerinnen der WU18-Mannschaft des letzten Jahres, von denen ein Großteil seit Kindesbeinen zusammenspielt. Es ist wirklich ärgerlich, denn wir hatten uns so viel vorgenommen für dieses Spiel, vor allem weil wir wussten, dass wir etwas Historisches für den Verein schaffen können. Und jetzt haben wir das Worst-Case-Szenario, das sich der Sport nicht schlimmer hätte aussuchen können. Selbstverständlich hätte es uns auch mit Lena passieren können, dass wir in die Play-downs rutschen, weil meiner Meinung nach in dieser Bundesliga jeder jeden schlagen kann, aber dass wir jetzt als Letzter in die Play-downs müssen und Lena nicht mit dabeihaben, die für Monate ausfällt mit Kreuzbandriss, ist natürlich alles andere als glücklich. Wir müssen uns jetzt auch erst mal alle ein bisschen schütteln und versuchen, dann positiv in die nächste Woche zu gehen. Noch ist der ganze Verein in Schockstarre.  
 
Sie haben auch gesagt, dass Sie glauben, dass Bremen die Liga trotzdem halten kann. Warum?
Natürlich ist Lena eine überragende Spielerin und eine der besten Spielerinnen der Rückrunde in der Bundesliga. Wir haben ja nicht umsonst Düsseldorf geschlagen und sind gegen Köln die bessere Mannschaft gewesen – und das als Aufsteiger. In der Hinrunde waren unsere Resultate noch nicht so gut gegen die Top-Teams, aber in der Rückrunde waren die Spiele gegen die Favoriten richtig gut von uns. Das kann man sicher nicht mit einer überragenden Spielerin alleine schaffen, es gehören viele andere dazu. Die Mannschaft hat sich einfach toll entwickelt in dieser Zeit, wir haben gute Spielerinnen, aber natürlich ist unser Spiel sehr auf Lena ausgelegt. Sie hat eine Rolle gespielt, die man nicht ansatzweise und schnell ersetzen kann. Die Kunst wird sein, dass wir die Lücke irgendwie versuchen zu schließen, aber grundsätzlich haben die Spielerinnen vom hockeytechnischen alle ein sehr großes Potenzial und die Qualität, die Liga zu halten. Da mache ich mir keine Sorgen. Auch am Sonntag haben wir München in der zweiten Halbzeit für 25 Minuten dominiert, bis auf die letzten fünf Minuten, weil dann die Luft raus war. Es funktioniert also. Wir hatten diese Situation auch schon einmal in der Halle: Bei der Norddeutschen Meisterschaft hat die Mannschaft ohne Lena (sie weilte mit den Danas in Australien) das auch sehr gut gemacht und gezeigt, dass auch jeder andere ganz viel Verantwortung übernehmen kann. Das ist jetzt eben wieder gefragt, und daran gilt es sich jetzt zu erinnern. Unser Kader ist gut. Am Spielerischen wird es nicht liegen. Nun geht es vor allem darum, dass wir den Kopf wieder frei kriegen und mental in der Lage sind, die Spiele zu spielen. Meine Hauptaufgabe in den drei Trainingseinheiten ist eher, die Mannschaft aufzurichten.
 
Es gibt ja immer zwei Wege für solche Talente wie Lena Frerichs: Sie kann bei ihrem Verein bleiben und Verantwortung übernehmen oder in einem anderen Verein eventuell um die Deutsche Meisterschaft mitspielen. Wie wichtig ist es, dass sich eine solche Spielerin in der eigenen Mannschaft entwickeln kann und nicht wechselt?
Es gibt von beiden Seiten immer etwas Positives. Das Wechseln kann positiv sein, um sich zu entwickeln, weil man mit besseren Spielern zusammenspielt und man sich von denen etwas abgucken kann und auf einem höheren Niveau trainieren kann. Aber man kann sich genauso gut auch andersrum entwickeln, wenn man in einer „guten“ Mannschaft mit 17 oder 18 Jahren eine Rolle einnimmt, die man in einem anderen Verein erst mit 25 einnehmen würde. In so einer Situation kann man sich auch besonders entwickeln und entfalten. Lena hat in Bremen die Möglichkeit, hier eine Verantwortung zu übernehmen, was sie vermutlich in den Topvereinen noch nicht hätte machen dürfen, und deswegen ist sie so speziell und wahrscheinlich auch so weit in ihrer Entwicklung, dass man ihr nicht ansieht, dass sie erst 19 ist – und schon jetzt eine überragende Figur in jedem Spiel in der Bundesliga ist. Das ist schon beeindruckend.  
 
In der Halle hatten Sie mit Angelina Blietz eine ganz junge Torhüterin im Tor. Ist sie weiterhin dabei?
Ja. Sie ist jetzt 17 und hat in der Rückrunde ihr Bundesligadebut auf dem Feld gespielt. In der Halle war sie überragend. Zusätzlich haben wir eine spanische Torhüterin, mit der sie sich immer abwechselt, viertelweise. Ich will den jungen Spielerinnen die Chance geben, sich zu entwickeln. Die beiden tauschen sich immer aus, und das bringt Angelina natürlich auch ganz viel.  
 
Sie sind nach wie vor in Bremen glücklich?
Es läuft sehr gut. Jetzt ist das erste Mal nach einem halben Jahr ein Krisentag, wo alles etwas ernster ist, als es bisher war. Doch das ist natürlich der Tatsache geschuldet, dass es dabei auch um die Zukunft vom Verein geht. Wir haben die Rückrundenspiele auf einem guten Niveau gespielt, das eher das obere Drittel betrifft. Ich weiß nicht, wie viele Spiele Düsseldorf in den letzten Jahren verloren hat, aber wir haben sie verdient geschlagen, was zeigt, was wir für eine Qualität haben. Und nun müssen wir auf einmal in die Play-downs, was für uns auch überraschend ist, und dann noch ohne Lena. Es kommt jetzt alles zusammen. Es ist schon Wahnsinn, dass an diesem Tag und an dieser Situation die Zukunft des Vereins hängen kann.  
 
Und Sie wohnen jetzt fest in Bremen?
Ja, ich bin mittlerweile Sportdirektor beim Bremer HC. Der Verein hat die letzten Jahre über tolle Arbeit geleistet, aber die Coronazeit hat alle Vereine ein bisschen getroffen, auch hier in Bremen, und ein paar Jahrgänge sind nicht so gut besetzt, also muss man wieder von ganz unten enorm viel Arbeit reinstecken, damit es für die nächsten Jahre nachhaltig wird. Und für die jungen Talente ist es wichtig, ein Ziel und Vorbilder zu haben, daher muss es unser Anspruch sein, ein Erstligaverein zu sein.  

Vielen Dank für das Gespräch!

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