21.05.2023
Am 5. November 2022 wurde Tayyab Ikram zum Präsidenten der Federation Internationale de Hockey (FIH) gewählt. Der 64-Jährige setzte sich mit 79:47 Stimmen gegen den Belgier Marc Coudron durch. Der gebürtige Pakistaner Ikram, beheimatet in der chinesischen Sonderverwaltungsregion Macao, ist der 13. Präsident des 1924 gegründeten Weltverbandes. Vergangene Woche war Tayyab Ikram für einen halben Tag in Berlin, nahm am Willkommensabend beim TC Blau-Weiss teil und sprach am nächsten Morgen noch ein Grußwort beim DHB-Bundestag. DHZ-Redaktionsleiter Uli Meyer hatte dort die Gelegenheit, mit dem FIH-Chef über aktuelle Fragen zu sprechen.
Herr Präsident, wie gut kennen Sie den Hockeysport in Deutschland?
TAYYAB IKRAM: Da gibt es für mich viele Verbindungspunkte. Meine persönlichen Erinnerungen gehen schon in die Zeit zurück, als Deutschland das erste Team stellte, das die jahrzehntelange asiatische Vorherrschaft im Welthockey brach. Dieser Triumph bei den Olympischen Spielen 1972 war historisch gesehen ein Durchbruch, ein Wendepunkt im Welthockey. Ich war noch sehr jung damals, aber diese Tage von München waren faszinierend, vor allem wie Deutschland da auf der Weltbühne aufgetreten ist.
Von außen sieht man nur die Nationalmannschaften, aber ich hatte im Lauf der Jahre viele Verbindungen zum deutschen Hockey aufbauen können, die mir einen tieferen Einblick ermöglichten. In meiner Position als Coaching Director des Internationalen Hockey-Verbandes habe ich viel mit und in Deutschland gearbeitet, vor allem mit den Trainern. Ich hatte die Ehre, all die großen deutschen Coaches wie Paul Lissek, Bernhard Peters oder Markus Weise kennenlernen zu dürfen und sie auch in ihrer jeweiligen Entwicklung wachsen zu sehen. Sie waren ja auch Teil meines Programms, das waren mit allen immer gute Erfahrungen. Ja, es war wirklich fantastisch, mit solchen Experten zusammenzuarbeiten. Vor allem im Hallenhockey konnte ich ganz viel von Trainern wie Willi Willemsen oder Rüdiger Hänel lernen. Ich wurde regelrecht zum Experten für Hallenhockey. Alles schöne Erinnerungen. Alles in allem würde ich mich deshalb nicht als Außenstehenden bezeichnen, was das deutsche Hockey angeht.
Nun sind Sie seit einem halben Jahr Präsident der FIH. Wie sehen Sie da die Rolle von Deutschland in der internationalen Hockeygemeinschaft?
Deutschland ist immer schon eine große Hockeynation gewesen. Als FIH-Präsident erkenne ich jetzt noch klarer als bisher, dass der DHB ein starker Stakeholder in der internationalen Hockeyfamilie ist. Deutschland gibt mit seiner Hockeykultur, ganz speziell im Hallenhockey, einen sehr positiven, wertvollen Beitrag zur Entwicklung unseres Spiels. Ich muss zugeben, dass es ein Schock für mich war, als ich erfuhr, dass Deutschland seine Teams von der Hallen-Weltmeisterschaft 2023 zurückgezogen hat. Das hat mich hart getroffen. Aber mein Herz war bald wieder versöhnt, als die Feld-WM gelaufen ist. Ich kann sagen, dass ich sehr glücklich war, als Deutschland den Titel gewonnen hat. Das war ein fantastischer Auftritt der Mannschaft und daher ein verdienter Erfolg. Deutschland war immer ein starker Stakeholder im internationalen Hockey und wird es immer bleiben.
Eine Sache, die viele Hockeyinsider auch in Deutschland stark interessiert, ist die Frage der Zukunft des Hockeysports im olympischen Programm. Läuft unser Sport Gefahr, seinen Platz zu verlieren?
Ich bin da sehr zuversichtlich, dass das nicht geschieht. Ich kann nicht einmal verstehen, dass solche Fragen überhaupt im Raum stehen. Da gibt es nichts in Frage zu stellen.
Aber wurde Hockey vom Internationalen Olympischen Komitee nach den Sommerspielen 2012 in London nicht – um in der Sportsprache zu bleiben - die „Gelbe Karte“ gezeigt?
Ich glaube nicht, dass es ernsthaft im Raum stand, Hockey vom Programm zu eliminieren. Es wurden ein paar Punkte aufgeworfen, und die wurden vollständig aufgearbeitet. Um bei den Fakten zu bleiben: Es war lediglich eine einzige Frage im Executive Board des IOC, und manche Leute haben daraus viel mehr gemacht, als es war. Ich kann nur sagen, dass Hockey eine langfristige Zukunft im Olympiaprogramm hat. Wir sind da und sind fester Teil der olympischen Bewegung.
Ein Geschenk für den Ehrengast. DHB-Präsident Henning Fastrich (links) und Tayyab Ikram beim Bundestag in Berlin. Foto: lim
Was macht Sie so sicher? Gibt es denn nach jeden Spielen Auflagen seitens des IOC, was die einzelnen Sportarten künftig besser zu machen haben?
Wir machen es einfach gut! 2008 in Peking waren wir unter den besten Sportarten, ebenso 2012 in London. In einem schwierigen Umfeld 2016 in Rio hat Hockey einen guten Job gemacht. Und 2020 in Tokio hatten wir einen tollen Kartenvorverkauf, ehe alle Zuschauer aufgrund der Pandemie ausgeschlossen werden mussten. Aber auch ohne Publikum auf den Tribünen war Tokio eines der erfolgreichsten Hockeyturniere. Wo immer die Spiele stattfanden: Hockey hat immer fantastische Ergebnisse gebracht.
Manche fürchten, dass eines Tages Hockey5 den Platz des „richtigen“ Hockey im olympischen Programm einnehmen könnte. Diskussionen darüber gibt es.
Das ist in meinen Augen nichts als billiges Geschwätz. Hockey5 hat Potenzial, was für uns auch wichtig ist für die Verbreitung des Spiels, nicht nur im Sinn der Entwicklung, sondern auch als High-Performance-Wettbewerb. Das sind verschiedene Ansätze. Hockey5 ist zweifellos ein dynamisches Format, aber es hat keine Chance, bei Olympischen Spielen zu erscheinen, wie auch Hallenhockey.
Sie haben das Potenzial von Hockey5 angesprochen. Was verstehen Sie darunter?
In manchen Ländern kann Hockey5 so etwas wie ein Rettungsanker sein. Ich meine Länder, die bei einem normalen Großfeldspiel elf gegen elf wahrscheinlich in keinem Wettbewerb dabei wären. Dieses alternative, kleinere Format funktioniert natürlich nicht überall. Für uns als FIH ist es eine gute Sache, verschiedene Formate bereithalten zu können, die an unterschiedlichen Stellen zu gebrauchen sind. So nehme ich das wahr. Außerdem bietet Hockey5 mit seinem attraktiven, einfachen Format für die jüngere Generation viel Motivation, in den Hockeysport einzusteigen.
Lassen Sie uns noch über andere Dinge sprechen. Eines der Ziele der FIH ist es, Hockey so bald als möglich auf Kunstrasenplätzen spielen zu lassen, die ganz ohne die herkömmliche Bewässerung der Oberfläche auskommen.
Der wasserlose Kunstrasen ist in der Entwicklung und von der Hockeyseite auf alle Fälle ein bedeutender Beitrag zu den Nachhaltigkeits-Projekten im Sport. Das ist eine gute und wichtige Sache, den Verbrauch von Wasser dadurch zu senken. Aber wir müssen noch mehr tun und müssen an weitere Nachhaltigkeitsaspekte denken und daran arbeiten.
Gibt es weitere größere Ziele in Ihrer Präsidentschaft?
Eine Herzensangelegenheit ist für mich das Engagement und die Stärkung der Fachkomitees. Sie personell und mit Ressourcen zu versorgen, das alles schnüren wir gerade zu einem Paket zusammen und werden dies auch im Juni beim IOC vorstellen. Eines der ersten Dinge, die ich als Präsident umgesetzt habe, war, dass wir Vertreter von neuen, kleineren Ländern wie Solomon Islands, Fidschi, Peru oder Botswana in unsere Komitees aufgenommen haben. Deren Stimmen müssen gehört werden. Wir müssen gerade mit den kleinen Ländern viel öfters sprechen. Kürzlich war ich in einer Videokonferenz mit Vertretern von 42 teils ganz neuen Hockeynationen. Mit ihnen zu sprechen und ihnen auch zuzuhören, all das wollen wir fortsetzen. Wir brauchen eine noch größere Vielfalt in unserem Sport. Im Top-Level-Bereich möchten wir einen Think-Tank, eine Art Ideenfabrik, etablieren, damit Hockey das bekommt, was es verdient. Diese vielen Fronten wollen wir professionell und aktiv angehen. Ich denke, wir als Hockey müssen noch viel mehr machen, als wir bisher tun.
Ich habe gehört, dass Sie das erste Mal in Berlin sind.
Ja, das ist richtig. Aber ich habe eine lange Geschichte mit Deutschland, war schon mehrfach in Mönchengladbach, Köln oder Leipzig. Ich bin also wahrlich kein Fremder mehr in Deutschland.
Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Sie beim DHB-Bundestag anwesend sind. Hatten Sie gerade ohnehin in Lausanne, der FIH-Zentrale, zu tun und haben dann einen Abstecher nach Berlin gemacht?
Es war genau andersherum. DHB-Präsident Henning Fastrich hatte mich zum Bundestag eingeladen, und dann habe ich die Gelegenheit genutzt, um noch andere Termine in Lausanne damit zu verbinden. Aber der erste Anlass meiner Reise war tatsächlich die Mitgliederversammlung des DHB.
Das deutsche Hockey darf sich geehrt fühlen, solch hohen Besuch begrüßen zu können.
Nein, ich bin dankbar dafür, dass ich hier sein konnte. Es ist eine großartige Sache für mich, mit Leuten zu reden und ihnen zuzuhören. All das ist Teil meiner Aufgabe als Präsident.
Vielen Dank für das Gespräch!
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