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Mannheimer HC: Als Außenseiter zu zwei blauen Meisterwimpeln

Ausgerechnet Nadine Kanler. Die einzige verbliebene Spielerin des Mannheimer Teams von 2016, das damals für den ersten Hallen-DM-Titel der MHC-Damen gesorgt hatte, durfte zum Matchball im Shoot-out antreten. Kurzer Anlauf Richtung DHC-Torhüterin Femke Jovy, ein schneller Vorhandzieher und sofort der Abschluss mit der kleinen Rückhand. So unspektakulär der Ball über die Torlinie hüpfte, so groß waren die damit ausgelösten Glücksgefühle. Eine ganze Horde junger Spielerinnen stürmte wie entfesselt auf die mit 29 Jahren neben Anissa Korth (30) mit Abstand Teamälteste zu und begrub die Siegtorschützin unter einer Traube glückseliger Meisterinnen.

„Man ist noch ein bisschen mehr aufgeregt, wenn man weiß, dass man es entscheiden kann“, sagt später Nadine Kanler, die sich trotz aller Anspannung ihrer Sache ziemlich sicher war: „Der war so oft geübt, der musste einfach klappen.“ Verständlicherweise viel weiter weg sind ihre Gedanken an den ersten Titelgewinn, der vor acht Jahren in Lübeck kurioserweise exakt wie jetzt in Frankfurt durch das fast gleiche Finalresultat (3:1 im Shoot-out nach 3:3-Unentschieden) gegen den gleichen Gegner (Düsseldorfer HC) wie diesmal zustande gekommen war. „Damals war ich noch eine der jüngsten im Team, ein kleines Nervenbündel. Ich hätte niemals im Leben einen Penalty geschossen. Jetzt als Führungsspieler übernimmt man halt auch Verantwortung“, sagt sie und beschreibt damit auch die eigene Reifung, seit sie als B-Mädchen beim MHC anheuerte.

Ob Kanler vor oder während des jüngsten Endspiels gegen Düsseldorf an den Sieg vor acht Jahren gedacht habe, wird sie gefragt. „Natürlich weiß man im Hinterkopf, dass man es schon mal geschafft hat gegen die“, sagt die Angreiferin, die „sonst wenig Parallelen“ erkannte: „Völlig andere Welt, völlig andere Mannschaft.“

Der DM-Titel 2024 kam für alle, extern wie intern, ziemlich überraschend. „Bei der Besprechung vor der Saison ist aus keinem Mund das Wort Deutscher Meister gekommen“, erinnert sich Nadine Kanler an den Herbst 2023, als klar war, dass neben der (wie üblich in der Halle) fehlenden Argentinen/Spanien-Fraktion auch einige deutsche Nationalspielerinnen wegen Olympia-Quali und U21-Weltmeisterschaft dem MHC-Hallenkader fehlen würden. Die Ziele waren niedrig gesetzt, nach außen hin bewusst lässig formuliert („Spaß haben und verletzungsfrei bleiben“) und intern („Viertelfinale“) auch nicht den Riesendruck aufbauend.  

 

Die entscheidende letzte Szene im Damen-Finale: Nadine Kanler hebt beim Shoot-out den Ball mit der Rückhand an der Düsseldorfer Torhüterin Femke Jovy vorbei zum 3:2-Siegtreffer des Mannheimer HC.
Foto: Kessler

 

„Es war eine ganz andere Hallensaison als sonst“, sagt Trainer Nicklas Benecke, „wir waren so ein eingeschworener Haufen. Dass es dann so positiv lief, war in gewisser Hinsicht auch ein bisschen Glück. Auf der anderen Seite haben es die Mädels auch sehr gut gemacht, haben Gas gegeben, das Beste aus der Situation gemacht.“ Alles, was dann nach dem Viertelfinale kam, war für Benecke „die Kirsche auf der Torte“.

Aus Spielerinnen-Sicht klang das so: „Ich glaube, wir waren deswegen so erfolgreich, weil wir einfach wenig zu verlieren hatten und frei aufspielen konnten“, sagt Nadine Kanler. Auch mit Rückständen konnte die im Schnitt sehr junge Truppe gut umgehen. Im Viertelfinale gegen Rot-Weiss Köln lag der MHC ebenso hinten wie im Halbfinale gegen den UHC Hamburg. Und immer verstand es Mannheim, die Sache noch umzubiegen. „Deswegen wussten wir: Wenn wir einfach weiterspielen, können wir auch den Ausgleich noch schaffen“, hatte Kanler beim 0:2-Pausenstand im Finale gegen Titelverteidiger Düsseldorf die Partie längst noch nicht abgeschrieben. Tatsächlich wurde der Außenseiter immer spielbestimmender, glich zum 3:3-Endstand aus und erlaubte sich dann im Shoot-out keinen Fehlversuch. „Aufgrund der zweiten Halbzeit haben wir auch verdient gewonnen“, ist Nadine Kanler stolz auf die Entwicklung, brauchte trotzdem eine Weile, das Erreichte auch zu begreifen: „Wahnsinn, dass wir jetzt hier stehen.“

 

Herren: In München fast schon draußen

 

Ähnlichkeiten zum DM-Triumph der Damen hatte die Meisterschaft der MHC-Herren auf mehreren Ebenen. Auch hier unterschied sich der Kader zwischen Feld- und Hallensaison stark. Kaum ein anderer Bundesligist hatte zur Winterrunde mehr Nationalspieler-Ausfälle als der Mannheimer HC. Entsprechend stand bei kaum jemandem der zweifache Hallenmeister (2010, 2022) auf der Liste potenzieller Anwärter für den Meistertitel 2024.

Schon das Erreichen des Viertelfinals - das kommunizierte Saisonziel des Feld-Vizemeisters – galt in der Süd-Gruppe als keineswegs ausgemachte Sache für den MHC. Und das war kein Mannheimer Understatement, wie der Saisonverlauf zeigte. „Es ist verrückt. In München waren wir drei Minuten vor Schluss raus aus dem Viertelfinale“, erinnert sich Trainer Andreu Enrich an den vorletzten Ligaspieltag. Sein MHC-Team lag beim direkten Konkurrenten Münchner SC in der Schlussphase mit 3:6 in Rückstand. Eine Niederlage hätte Mannheim im Kampf um den zweiten Tabellenplatz in die schlechtere Position gebracht. Mit einem Kraftakt in künstlicher Überzahl und vier Toren in knapp drei Minuten drehte der MHC das Ding noch zum 7:6-Sieg.

Was dann folgte, erinnerte Kapitän Jan-Philipp Fischer an das, was vor zwei Jahren schon mal gelang. „Wir haben wie 2022 alle Gruppensieger auf dem Weg zum Titel geschlagen“, sagt Fischer über den 10:6-Viertelfinalsieg beim Westmeister Uhlenhorst Mülheim, den 8:7-Erfolg (4:4; Shoot-out 4:3) im Halbfinale über den Nordmeister Harvestehuder THC und das 7:5 (5:5; Shoot-out 2:0) im Endspiel gegen den Süd-Ersten TSV Mannheim.

In keinem dieser Spiele ist das MHC-Team als Favorit ins Rennen gegangen, ähnlich war es vor zwei Jahren. „Die Underdog-Rolle steht uns offenbar ganz gut“, lächelt Fischer, der neben Luis Holste, Jossip Anzeneder, Moritz Himmler und Florian Simon aus dem 2022-Meisterteam übrigblieb. „Wir hatten nominell sicher nicht die beste Mannschaft. Die anderen Endrundenteilnehmer HTHC, Alster oder TSVMH waren eigentlich viel besser besetzt. Aber als Mannschaft waren wir stark in der Zusammenarbeit“, sagt Enrich über den wohl stärksten und wichtigsten Trumpf des MHC.

 

Zusammen mit den während des Finale anfeuernden Spielern des Feldkaders bejubeln die MHC-Herren den Hallen-DM-Titel 2024. Foto: Markgraf

 

Tatsächlich fing Mannheim die vermeintlichen Nachteile in der individuellen Performance durch ein stets überzeugendes Kollektiv auf, das regelmäßig einen optimal zum Gegner passenden Matchplan parat hatte und diesen dann ziemlich fehlerlos durchzog. Ein bedeutender Faktor für den Erfolg war bestimmt auch das Trainer-Duo Andreu Enrich/Zafer Kir. Ihre interessante Arbeitsaufteilung während der Spiele, mit einem nah an der Bande auch physisch stark mitgehenden Kir und einem hinter der Mannschaftbank meist in denkerischer Pose beobachtenden Enrich, beschreibt der Chefcoach so: „Zafer bringt Energie an der Seitenlinie rein, ich konnte mich in zweiter Reihe mehr auf Gameplan und Taktik konzentrieren. Diese Kombination war gut für die Jungs.“

Den Moment des Titelgewinns in der Frankfurter Süwag Energie Arena konnte Andreu Enrich zunächst kaum genießen. Sein erster Gang nach dem Schlusspfiff führte ihn direkt zu seinem spanischen Trainerkollegen auf der TSV-Bank, Hector Martinez. „Hector ist einer meiner besten Freunde, wir haben seit über 20 Jahren eine sehr gute Verbindung. Ich weiß, wie wichtig der Sieg heute für ihn persönlich gewesen wäre. Es ist traurig“, erklärte Enrich sein „gespaltenes Herz“.

Er nach und nach rückte der eigene Erfolg bei ihm in den Vordergrund. „Ich bin stolz, aber nicht in erster Linie wegen des Titels, sondern wegen der Leistung der Jungs. Das ist der wichtige Punkt“, so der MHC-Chefcoach, dem der zusätzliche Erfolg der Damen zeigt „dass der MHC in den letzten drei, vier Jahren als Verein auf vielen Ebenen richtig gute Arbeit geleistet hat“.    lim