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Herren gegen Argentinien: Allen Widerständen getrotzt

04.08.2024 - Es war ein Kampf auf Biegen und Brechen. Die favorisierten Deutschen hatten es im Viertelfinale am Sonntagabend gegen einen starken argentinischen Gegner und weitere Widerstände (wie zum Beispiel zahlreiche seltsame Pfiffe der Unparteiischen) zu tun. Doch am Ende hatten sie sich mit 3:2 (2:1) durchgesetzt und stehen nun im Halbfinale gegen Indien (Dienstag, 19 Uhr).

Gar nicht so defensiv, wie man das hätte vermuten können, startete Argentinien ins Spiel. So wurde der deutsche Innenverteidiger Mathias Müller schon nach zwei Minuten von gleich mehreren Spielern derart bedrängt, der er nur auf Kosten einer langen Ecke reagieren konnte. Zwar zogen sich die Südamerikaner dann schon vermehrt zurück und ließen den Deutschen den Ball, doch mit aggressivem Zupacken verhinderte Argentinien, dass der Gegner sich zu weit vorkombinieren konnte.

So dauerte es bis zur 9. Minute, ehe es zur ersten Situation im argentinischen Kreis kam. Dafür klingelte es dann sofort. Weigand hatte den Ball über links reingespielt. Von der rechten Seite kam Teo Hinrichs vor seinen Gegenspieler gelaufen, nahm den Ball auf und knallte ihn argentinisch aus zehn Metern in den Kasten – einen viel besseren Zeitpunkt für sein allererstes Tor im 66. Länderspiel hätte es kaum geben können.

Teo Hinrichs (Nr. 14) erzielt per Rückhand das 1:0. Für sein erstes Länderspieltor überhaupt hätte es kaum einen besseren Zeitpunkt geben können als das olympische Viertelfinale. Foto: Kaste

 

Lange konnte sich Deutschland nicht am Vorsprung erfreuen. Bei einem Zweikampf im deutschen Viertel ging Zwicker den Schiedsrichtern eine Spur zu körperlich an die Sache. Es gab grün und eine Ecke für Argentinien. Der Ärger im deutschen Lager war groß, schließlich hatte es wenige Sekunden vorher auf der anderen Seite für einen ähnlichen Rempler gegen den ins Team zurückgekehrten Mats Grambusch noch nicht mal einen Freischlag gegeben. Der Ärger wuchs ums Doppelte noch an, als Argentinien die Ecke im zweiten Versuch dann durch Maico Casella auch noch zum Ausgleich verwandelte (11.).

Im zweiten Viertel neutralisierten sich beide Teams eine ganze Weile. Dann schickte Peillat einen langen Schlenzball zum vorne lauernden Wellen. Weil die Abwehrreihe bei der Ballannahme den ausreichenden Abstand vermissen ließ, gab es die erste Ecke für Deutschland. Genau wie vorher Casella, versenkte auch Gonzalo Peillat nach geblocktem ersten Versuch die daraus entstehende nächste Möglichkeit. Abgefälscht von der ersten Welle sauste der Ball unhaltbar für Santiago hoch ins Netz – 2:1 (24.). Der Vorsprung wurde in die Halbzeit mitgenommen, weil Deutschlands Abwehr zwei gefährliche Kreisszenen schadlos überstand, aber auch Wellens Schuss aus der Drehung (27.) nichts mehr einbrachte.

Im dritten Viertel gab es nicht viele Kreisszenen, aber die wenigen waren dafür richtig torgefährlich. Nach einem schönen Seitenwechsel konnte Deutschland über Ludwig den Ball zurück in die Mitte bringen, wo Rühr am Kreisrand erstaunlich viel Platz hatte, doch der Stürmer versäumte den schnellen Abschluss und verzockte sich dann. Da war deutlich mehr drin (34.). Noch eine Spur hochkarätiger waren die Möglichkeiten für Argentinien. Der freikombinierte Bugallo konnte von halbrechts zwei Mal schießen, doch Danneberg reagierte glänzend (37.), ebenso wie beim Volleyversuch von Mazzilli (40.) mit der Brust.

Doch nach 48 Minuten konnte Agustin Mazzilli, neben Veteran Matias Rey (39) der letzte der Olympiasieger von 2016 auf argentinischer Seite, doch noch jubeln. Er hatte sich erfolgreich im Rücken von Windfeder freigeschlichen und wurde dann auch von einem harten Ball in den Kreis mustergültig bedient. Aus kurzer Distanz hatte Danneberg keine Chance gegen den Stecher  - 2:2, alles wieder offen.

Deutschland musste in dieser Phase so einiges wegstecken. Dass es nach einem Ludwig-Vorstoß mit argentinischem Fuß im Kreis keine Ecke gab (auch nicht nach VAR), war ein hartes Stück (53.). Aber schließlich bald vergessen, als sich kurz danach Wellen den Ball schnappte, mehrere Abwehrspieler umkurvte und mit seiner Rückhandablage auch noch Justus Weigand fand, der aus kurzer Distanz nur noch zum 3:2 (54.) einschieben musste. Sechs Minuten vor Ende hatte Deutschland wieder die Führung.

Die verbleibende Zeit wurde zum physischen und mentalen Kraftakt. Da musste Mats Grambusch erst mit grün und wenig später mit gelb vom Platz, sein Bruder Tom hatte in dieser Phase einen harten Ball an die linke Hand bekommen und musste ebenfalls raus. Den besten deutschen Verteidiger bei diesem Turnier hätte man in der hektischen Schlussphase sicher lieber auf dem Platz gehabt. Vorne blieb ein Foul gegen den durchgebrochenen Rühr unbestraft. Und schließlich gab es noch drei Ecken zu verteidigen. Mit starker erster Welle und grandiosem Danneberg wurden diese größten Bedrohungen des Vorsprungs erfolgreich abgewendet. Dann endlich war Schluss, und Deutschland stand im Halbfinale.

Bei 3:5 Ecken und 7:10 Torschüssen lagen statistische Vorteile bei Argentinien, die Zahl der Kreiseintritte war ausgeglichen (13:13).

Als "letzter Mann" nahm Argentiniens Juan Catan den im Durchbruch befindlichen deutschen Stürmer Christopher Rühr von den beinen. Schiedsrichter Tomlinson wollte eine regelkonformes Eingreifen gesehen haben und ließ einfach h weiterlaufen. Foto: Kaste 

 

Stimmen:

 

André Henning: Was für ein unglaubliches Spiel! Die Jungs haben heute wohl eines der schwersten Spiele, die wir in meiner Zeit zusammen gespielt haben, mental souverän auf unsere Seite gezogen. Wir waren heute gegen alle Widerstände unglaublich stark. Argentinien hat klasse gespielt, stärker als in der Gruppenphase. Es gab viele Fehlentscheidungen in wichtigen Situationen, auch gegen uns. Aber wir haben uns nicht von unserem Weg abbringen lassen und sind immer bei uns geblieben. Es war eine unglaubliche Energie auf der Bank und auf dem Platz, die uns positiv unterstützt hat. Letztlich haben wir auch gut gespielt, in den entscheidenden Momenten immer wieder zugeschlagen und hatten auch individuelle Top-Aktionen. Die Strafecke von Gonzalo Peillat, die vielen gehaltenen Bälle von Jean Danneberg oder die unglaubliche Vorarbeit von Niklas Wellen zum Siegtreffer. Es war eine unglaubliche Stimmung hier im Stadion mit vielen deutschen Fans, die uns angefeuert haben. Vielen Dank dafür, und ich hoffe, dass viele in zwei Tagen wiederkommen. Das war eines der schönsten und intensivsten Hockeyspiele, die wir je erlebt haben. Die Mannschaft hat wieder bewiesen, dass sie unter größtem Druck am stärksten performen kann. Jetzt ist von Platz eins bis vier alles möglich, auch Gold. Das ist das Ziel der Mannschaft, und wir haben gezeigt, dass das möglich ist.

 

Mats Grambusch: Gonzo hat uns im Vorfeld gut eingestellt gegen Argentinien. Denn genauso ist es gekommen. Dass wir seine Tipps nicht immer gut umgesetzt haben, ist eine andere Geschichte. Bei aller Freude über den Sieg waren da schon ein paar Böcke dabei, die wir heute gemacht haben. Wir tun uns bestimmt einen Gefallen, wenn wir im Halbfinale wieder längere Ballbesitzphasen als heute, gerade gegen so eine Mannschaft wie Indien, die ein bisschen eine Harakirimannschaft ist.

 

Tom Grambusch: Man hat uns heute die Nervosität über 60 Minuten hinweg angemerkt. Normalerweise verlieren wir die Nervosität nach den ersten paar Minuten. Das haben wir heute nicht geschafft. Das letzte richtig wichtige Spiel gegen Argentinien haben wir 2016 im olympischen Halbfinale gespielt. Das ist jetzt acht Jahre her, es fühlt sich trotzdem gut an, wie eine späte Genugtuung.

 

Teo Hinrichs: Einen schöneren Zeitpunkt fürs erste Länderspieltor gibt es kaum. Das gleiche im Halbfinale oder Finale würde es vielleicht noch toppen. Da ist eine Menge Druck abgefallen, ein schönes Gefühl. Man hat uns die Nervosität heute angemerkt. Ich habe jetzt auch gelernt, dass im Viertelfinale am meisten Druck drin ist. Da kann man eigentlich nur verlieren. Deshalb haben wir uns spielerisch ein bisschen schwergetan. Aber fighten können wir immer, das haben wir heute gezeigt. Von daher war es eine Topleistung. Der Fokus wird jetzt schnell aufs nächste Spiel gehen. Es gibt sicher noch einige Baustellen, wo wir uns verbessern können.

 

Jean Danneberg: Die zweite Halbzeit war sehr stressig. Leider haben wir da oft den Ball im Aufbau verloren, Argentinien hat es aber auch extrem gut gemacht. Als es in der sehr tubulenten Schlussphase noch drei Ecken gegen uns gab, da rutscht einem schon kurz das Herz in die Hose. Aber wir hatten dann eine super erste Welle, haben von dem Eckengegentor aus der ersten Halbzeit direkt gelernt. Jetzt müssen wir noch eines von zwei Spielen gewinnen, um eine Medaille zu gewinnen. Es ist aber klar, dass wir beide gewinnen wollen.