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Herren gegen Indien: Nach Fehlstart noch ein 3:2-Sieg

06.08.2024 – Auch ohne ihren angeschlagenen Abwehrchef haben die deutschen Herren das Endspiel klargemacht. Im Halbfinale am Dienstagabend wurde Indien mit 3:2 (2:1) niedergerungen. Nun kommt es am Donnerstag (19 Uhr) zum Klassiker im Endspiel: Weltmeister Deutschland gegen Europameister Niederlande.

Beide Mannschaften mussten mit einer personellen Schwächung ins Spiel gehen. Während Deutschland ohne den im Viertelfinale an der linken Hand getroffenen Tom Grambusch auskommen musste, fehlte bei den Indern Mittelfeldspieler Amit Rohidas. Die Honamas konnten den schmerzhaften Ausfall ihres Abwehrchefs durch die Hereinnahme von Paul Kaufmann zumindest nominell kompensieren. Indien dagegen durfte den gesperrten Rohidas nicht ersetzen und musste das Match mit 15 statt der üblichen 16 Spieler bestreiten. Ein offizieller Einspruch der indischen Delegation gegen die Ein-Spiel-Sperre für Rohidas nach dessen Roter Karte gegen Großbritannien war von der FIH-Appeal-Jury abgewiesen worden.

Was das Fehlen des Abwehrchefs ausmachte, musste Deutschland gleich in den ersten Minuten spüren. Indien ging mutig los und zog durch seine trickreichen Einzelspieler sofort Ecken. Hinrichs, Windfeder und den in die Innenverteidigung zurückgezogenen Große machten sie dabei als potenzielle Opfer aus und schafften es tatsächlich, innerhalb der ersten sieben Minuten sieben Ecken zu ziehen. Sechs Mal ging es gut, entweder war Danneberg zur Stelle oder (meistens) die erste Welle mit dem Fuß oder den Schienbeinschonern. Doch mit dem sechsten Versuch war es geschehen. Harmanpreet Singhs Schlenzer wurde von Hinrichs‘ Fuß zur unhaltbaren Bogenlampe für den deutschen Torwart – 0:1 nach sieben Minuten.

Zum Glück rauschte Harmanpreets Flachschlenzer nach der siebten Ecke knapp am Pfosten vorbei. Ein 0:2 wäre für die sehr nervös gestartete deutsche Mannschaft ein dickes Brett gewesen. Ab der zehnten Minute war etwas mehr Ruhe und Stabilität in den deutschen Auftritt gekommen. Der Ball lief nun besser durch die eigenen Reihen, Indien hatte sich inzwischen zurückgezogen, ob gewollt oder nicht, sei dahingestellt.

Im ersten Viertel konnten sich die Honamas noch nicht belohnen, aber mit Beginn des zweiten Viertels lief es gleich gut. Nachdem eine starke Kombination durch die Mitte noch hauchdünn scheiterte, weil dem freigespielten Kaufmann der Ball über den Schläger sprang, holte man nach 18 Minuten die erste Ecke, weil Indien den Abstand nicht hielt. Gonzalo Peillat nahm Maß und fand die Lücke bretthoch im langen Toreck – 1:1.

Eines der wenigen Male, wo die deutsche Eckenabwehr vom Gegner ausgehebelt worden konnte. Im Reinrutschen stach Suhkjeet Singh den Ball vorbei an Torwart Danneberg zum 2:2-Ausgleich in den deutschen Kasten. Foto: Kaste 

 

Indien kam, anders als zu Beginn, jetzt nur noch handverlesen in die Offensive, dann aber gefährlich. So verfehlten Abschlüsse von Abhishek (20.) und Lalit (23.) nur knapp ihr Ziel. Drei Minuten vor der Halbzeit holte Peillat über links die zweite deutsche Ecke heraus, die er wieder an der ersten Welle vorbeibrachte. Auf der Linie klärte Jamanpreet Singh mit dem Fuß ins Aus, was über Videobeweis geklärt wurde. Christopher Rühr verwandelte den Siebenmeter ohne Anlauf auf die Schlägerseite – 2:1 (27.). Damit ging es in die Pause.

Wie zu Beginn des Spiels kassierte Deutschland auch am Anfang des dritten Viertels mehrere Ecken. Waren die Inder nämlich einmal in den Kreis eingedrungen, war es für die deutschen Verteidiger kaum mehr möglich, regelkonform die Gefahr zu löschen. Ein Tom Grambusch hätte in seiner überragenden Form vielleicht das ein oder andere ausgebügelt, doch der litt mit bandagiertem Finger auf der Tribüne mit. Bei Versuch Nummer vier, der elften insgesamt, war es dann passiert. Indien hatte sich was einfallen lassen, und anstatt ein ums andere Mal die Beine von Hinrichs oder Ludwig zu malträtieren, wurde ein flacher Ball durch die Mitte gespielt, wo Sukhjeet Singh abgetaucht war und den Ball halbhoch ins Netz stach. Perfekt ausgeführt und kaum zu verteidigen – 2:2 (36.). Alles wieder offen.

Im dritten Viertel hatte Deutschland offensiv kaum nennenswerte Szenen. Der Sololauf von Wellen, bei dem er den Ball in aussichtsreicher Position im indischen Kreis an den eigenen Fuß bekam, war die Ausnahme (41.). Mehr Torgefahr entfachte das deutsche Team gleich zu Beginn des Schlussviertels. Bei der dritten deutschen Ecke kam nach Torwartabwehr Weigand zum Nachschuss, verpasste aber aus kurzer Tordistanz. Auch Weigands wuchtiger Knaller von halbrechts fand nicht sein Ziel (51.), ergab über den VAR aber immerhin die vierte Ecke. Peillat war gerade draußen, Windfeder übernahm den Schuss, der Sreejesh aber nicht überwand.

Die Crunchtime hatte längst begonnen, Deutschland war das aktivere Team und wurde für diesen Offensivgeist dann sechs Minuten vor Schluss belohnt. Peillat war links in Position aufgerückt. Fast von der Grundlinie schickte er einen scharfen Ball Richtung Tor, wo Marco Miltkau seinen Schläger reinhielt und für die entscheidende Richtungsänderung sorgte, halbhoch schlug der Ball im Netz ein.

Das 3:2 (54.) hätte zum Ende hin sogar noch ausgebaut werden können, als man gegen ein inzwischen torwartloses Indien die über VAR erstrittene fünf Ecke (59.) durch Peillat nicht im Kasten unterbringen konnte. Andererseits kam der Vorsprung nur noch zweimal wirklich in Gefahr. In der Schlussminute ging erst ein Stecher von Sukhjeet aus kurzer Distanz am Danneberg-Kasten vorbei, und sieben Sekunden vor der Sirene jagte Shamser Singh den Ball sehr deutlich über die Latte – danach gab’s nur noch schwarz-rot-goldenen Jubel. Mannschaft und Fans konnte bestimmt herzlich egal sein, dass die statistischen Werte (17:13 Schüsse, 11:5 Ecken, 22:18 Kreiseintritte) allesamt für Indien sprachen.

Bemerkenswert: Die guten Schiedsrichter van Bunge (Niederlande) und Greenfield (Neuseeland) zeigten in 60 Minuten keine einzige Karte.

 

Schlusspfiff, es ist geschafft. Moritz Ludwig, Hannes Müller, Jean Danneberg, Mathias Müller und Justus Weigand (von links) bejubeln den Finaleinzug. Foto: Kaste

 

Stimmen

 

André Henning: Spielerisch war es ehrlich gesagt eines unserer schwächsten Spiele, die wir bisher unter richtigen Wettkampfbedingungen gemacht haben. Wir haben es uns schon vor einiger Zeit zum Mantra gemacht, dass wir an unserem schlechtesten Tag mindestens unentschieden spielen und dann im Penalty-Shootout gewinnen wollen. Das reden wir uns schon seit der WM ganz kräftig ein und haben heute bewiesen, dass man es auch umsetzen kann. Noch besser: Man macht sein schlechtestes Spiel und gewinnt auch ohne Shoot-out. Schlecht war es heute vielleicht auf der Hockeyebene, es gab wahnsinnig viele verstoppte Bälle, unklare Sachen, den taktischen Plan haben wir heute schön in der Kabine liegen lassen. Und trotzdem zu gewinnen ist dann auch eine Stärke und kein Zufall. Diese mentale Stärke, zu wissen, welche Tools wir auspacken müssen, das ist eine hohe Qualität der Mannschaft, die sie jetzt schon mehrfach bewiesen hat. Wir sind sehr froh, dass wir mit mehr Gepäck nach Hause fahren, als wir gekommen sind. Gleichzeitig habe ich die Mannschaft im Kreis nach dem Spiel gefragt, ob sie schon zufrieden ist. Es kam ein ganz klares ‚Nein‘! Wir wollen jetzt natürlich mehr!“ Gold ist und bleibt das erklärte Ziel der Mannschaft. Der Druck wird durch einen ähnlich starken Gegner groß, aber viel besser als Indien heute kann man auch nicht spielen. Indien hat eine fantastische Performance hingelegt und uns sehr gefordert. Das wird gegen Holland im Finale auch der Fall sein. Holland spielt seit eineinhalb Jahren unglaubich starkes, selbstbewusstes Hockey, auch hier im Turnier. Sie stehen völlig zurecht im Endspiel. Aber wir haben die letzten vier Pflichtspiele gegen sie alle gewonnen, zweimal normal, zweimal im Shoot-out. Das gibt uns Selbstbewusstsein.

 

Mats Grambusch: Es fühlt sich grandios an, nach sieben Spielen genau da zu stehen, wo wir sind: im Finale. Egal wie dreckig der Sieg heute auch gewesen ist. Im eigenen Kreis so viele Ecken herzugeben wie heute, das darf uns im Finale auf gar keinen Fall wieder so passieren, auch wenn unsere Eckendefense das überragend macht. Ich hoffe, dass Tom zum Finale zurückkommt. Er ist eine Bank da hinten drin, war bisher unser konstantester Verteidiger im Turnier.

 

Marco Miltkau: Der Ball kommt von Gonzo vor die Hütte. Das ist meine Stärke, in solchen Situationen den Ball reinzustechen. Umso schöner, dass wir dadurch 3:2 gewinnen. Nach dem Tor war es ein unheimliches Glückgefühl, aber man kommt ganz schnell wieder runter und muss sich fokussieren, um die restliche Spielzeit zu überstehen.

 

Jean Danneberg: Wir haben heute eine unglaublich starke Ecken-Defense und super ersten Wellen gehabt. Bei so vielen Versuchen müsste der Gegner eigentlich noch mehr Tore machen als die beiden. Das 0:1 war unglücklich abgefälscht, das 2:2 war ein super Stecher, sehr gut ausgeführt. Aber am Ende des Tages hat uns die Eckenabwehr heute das Spiel gerettet. Holland ist ein starker Gegner, die haben sich in den letzten Jahren unglaublich entwickelt. Denoch gehen wir gehen mit einer breiten Brust ins Finale. Ich glaube, die Holländer haben richtig Angst vor uns, weil wir öfters gegen sie gewinnen. Sie wissen ganz genau, dass wir die Qualitäten haben, sie zu schlagen, wie hier in der Gruppenphase gezeigt.  

 

Niklas Wellen: Wir haben heute kein gutes Spiel gemacht. Es ist eine große Stärke, dann trotzdem so ein Spiel zu gewinnen. Das hat uns bei der WM schon ausgezeichnet und heute wieder. Wir haben die Inder heute viel zu einfach in unseren Kreis gelassen. Wenn sie mal drin sind, sind sie brutal gefährlich und oft nur auf Kosten von Ecken aufzuhalten. Wenn wir im Finale so viele Ecken hergeben wie heute, wird es schwer, Gold zu gewinnen. Zum Glück war unsere Eckendefense heute überragend. Offensiv haben wir unsere Sachen nicht zielstrebig genug zu Ende gespielt. In der zweiten Halbzeit gab es viele gute Situationen, wo wir mehr rausholen können. Haben eine brutal gute Ecke, da müssen wir noch mehr davon rausholen, um sie noch häufiger zu nutzen. Unsere Quote ist derzeit überragend, Gonzo schießt herausragend. Diese Waffe müssen wir noch mehr nutzen. Das kann eine große Stärke werden im Finale. Das 1:0 aus der Gruppenphase juckt keinen Menschen mehr im Hinblick auf das Finale. Das ist ein komplett anderes Spiel.