08.08.2024 – Schade. Statt sich mit der Goldmedaille für ein starkes Turnier zu krönen, müssen sich die deutschen Hockeyherren nach der Finalniederlage nach Shoot-out (1:3 nach 1:1 am Spielende) gegen die Niederlande mit Silber zufriedengeben. Für die Holländer war es nach 1996 und 2000 der dritte Olympiasieg. Der sportlichen Entscheidung folgte ein unwürdiges Nachspiel.
Zwei mit viel Erfahrung bezüglich olympischer Endspiele ausgestattete Nationen standen sich im Herren-Endspiel von Paris 2024 gegenüber. Für die Niederlande war es die siebte Teilnahme, für Deutschland gar das achte Goldmedaillenspiel. Das letzte Mal für beiden europäischen Hockey-Großmächte war es 2012, wo man in London das Finale bestritt. Mit bekannt gutem Ausgang für die deutschen Farben nach dem Rabente-Doppelpack zum 2:1-Sieg.
Von den 32 Spielern, die in Paris am Donnerstagfrühabend auf dem Platz standen, hatte allerdings nur ein einziger olympische Finalerfahrung: Gonzalo Peillat. 2016 war er als damals 24-Jähriger mit Argentinien Olympiasieger geworden. Jetzt schickte er sich im deutschen Nationaltrikot an, wenige Tage vor seinem 32. Geburtstag ein zweites Mal nach Gold zu greifen.
Bei den Holländern hatte es kurzfristig eine personelle Veränderung gegeben. Der im Halbfinale umgeknickte Tjep Hoedemakers war nicht in der Lage, das Finale zu spielen, es rückte Steijn van Heijningen in den Kader. Auf deutscher Seite hatte man die Schwellung des im Viertelfinale gegen Argentinien getroffenen Fingers von Tom Grambusch soweit in den Griff bekommen, dass der Abwehrchef nach dem verpassten Halbfinale wieder ins Team zurückkehrte, natürlich auch direkt in die Startelf.
Hochkarätiger Endspielgast war Bundeskanzler Olaf Scholz (Dritter von links; links neben ihm DOSB-Präsident Thomas Weikert). Foto: Kaste
Im Gruppenspiel (1:0 für Deutschland) war bereits nach drei Minuten das Tor gefallen. Davon waren beide Teams im Finale – mit Bundeskanzler Olaf Scholz (samt Gattin) und DOSB-Präsident Thomas Weikert auf der Ehrentribüne - weit entfernt. Der gegenseitige Respekt, aber auch die Nervosität war auf beiden Seiten zunächst groß, und die Pressingversuche hielten sich beidseits stark in Grenzen. So gab es im ersten Viertel gerade mal vier wirkliche Kreisszenen. Die Niederländer trafen nach zwei Minuten tatsächlich einen deutschen Fuß im Kreis, doch Schiri Madden erkannte sofort auf Vorteil, den Kapitän Brinkman nicht zu nutzen verstand. Nach zehn Minuten ein erstes Offensivzeichen der deutschen Mannschaft. Mit der hohen Rückhand jagte Rühr einen Ball von links durch den Schusskreis, fand aber keinen Abnehmer. Sekunden später stibitzte Prinz einen holländischen Abschlag und bediente sofort Weigand. Der hatte im Kreis viel Platz, aber keine gute Abschlussposition. Beim Versuch, diese zu erreichen, wurde der deutsche Stürmer gestört. Auf der anderen Seite traf Wortelboer nach Schlenzanspiel den Ball nicht richtig (14.).
Im zweiten Viertel überstand Deutschland eine grüne Karte gegen Wellen (17.) völlig gefahrlos. Danach sorgte van Dam für Gefahr im Kreis, bei seinem durchaus gefährlichen Abschluss war aber schon der Freischlagpfiff von Madden ertönt (22.). Ein Mittelfelddurchbruch von Rühr, der nur auf Kosten der ersten Ecke gestoppt werden konnte, läutete nach 25 Minuten die stärkste deutsche Phase ein. Tom Grambuschs Schlenzer wurde abgelaufen, auch der Nachschuss von einem holländischen Schläger ins Aus abgelenkt. Kurz danach war nach Freischlag Rühr durchgebrochen, in aussichtsreicher Position ging ihm der Ball aber an den Körper.
Torlos ging es in die Pause. Vier Minuten nach Wiederbeginn wurde die Konzentration der Spieler durch einen plötzlich startenden Wassersprenger gestört, der erst nach einer Minute in den Griff zu bekommen war. Die erste Torannäherung im zweiten Durchgang hatten die Holländer durch Telgenkamp, dessen Ball aber vom Torhüter ins Aus geblockt wurde (38.). Kurz danach kam van Ass am Kreisrand in Stellung, wurde aber beim Ausschwingen zum Schuss erfolgreich und fair von Weigand gestört. Mit Halbchancen für Wellen (42.) und Brinkman (43.) sowie einer grünen Karte gegen Große ging das dritte Viertel zu Ende.
Da ist es passiert: Thierry Brinkman hat gerade das 0:1 aus deutscher Sicht erzielt. Die folgenden Minuten waren dann extrem ereignisreich. Foto: Kaste
Gerade als die Unterzahl abgelaufen war und Deutschland sich wieder in die normale Formation organisieren wollte, fiel dann nach Beginn des Schlussviertels das holländische Führungstor. Nach einem Freischlag auf der rechten Seite war der Ball in die Kreismitte gekommen, wo das Oranje-Team plötzlich eine deutliche Überzahl hatte. Van Dam nahm sich selber nicht den Schuss, sondern sah im Augenwinkel am langen Pfosten Thierry Brinkman postiert, der das Rückhandanspiel seines Kollegen an Danneberg vorbei in Brusthöhe mühelos ins Netz drückte – 0:1 (46.).
Obwohl Deutschland durch einen Rühr-Vorstoß und ein Dribbling am Kreis von Mats Grambusch sofort ein Gegenzeichen setzte, wäre man kurz darauf fast mit 0:2 in Rückstand geraten. Erneut war ein Ball bis ins Zentrum der deutschen Abwehr durchgerutscht. Bijen hatte alle Zeit der Welt, guckte sich auch clever den abtauchenden Danneberg aus und hob die Kugel dann elegant über ihn hinweg. Eigentlich ein sicheres 0:2, wenn nicht Peillat geistesgegenwärtig zur Linie zurückgeeilt wäre und mit einem kopfhohen Wischer den Ball zur Seite beförderte.
Und statt 0:2 hieß es nur 70 Sekunden nach dieser Wahnsinnsrettungstat tatsächlich 1:1. Wellen hatte im Konter die zweite deutsche Ecke herausgeholt. Dem Stopper Thies Prinz rutschte der Ball unter den Schläger durch. Die holländischen Herausläufer stoppten und gingen instinktiv zum seitlich ausweichenden Peillat. Das gab Prinz die Zeit, den Ball nachzustoppen, noch einen Schritt in den Kreis zu machen und abzuziehen. Sein bretthoher Schlag überwand den offenbar überraschten Blaak – 1:1 (50.).
Torschütze Thies Prinz (Mitte) wir von Gonzalo Peillat (links) und Martin Zwicker (rechts) für seinen Ausgleich per Ecke gefeiert. Foto: Kaste
Nach diesen irren vier Minuten beruhigte sich das Spiel noch mal. Nach einem Wellen-Solo kam Prinz mit der Rückhand zum Abschluss, der aber für Blaak kein Problem darstellte. 58 Sekunden vor Ablauf der Spielzeit bekam dann auf der anderen Seite Windfeder einen ziemlich offenen Ball an den Fuß – erste Ecke für die Holländer. Janssen nahm Maß, setzte den Ball aber knapp am Schlägereck vorbei.
Dann war Ende. Mit 6:7 Torschüssen, 2:1 Ecken und 10:20 Kreiseintritten aus deutscher Sicht war es ein Finale mit sehr wenig Offensivqualität auf beiden Seiten. Beide Teams waren nach einem kraftzehrenden Turnier mit acht Spielen an zwölf Tagen offenbar auch nicht mehr fähig, ein pausenloses Offensivfeuerwerk zu zünden.
Der Olympiasieger 2024 musste im Shoot-out ermittelt werden. Die Holländer begannen und verschossen durch de Geus gegen ein starkes Danneberg-Bein. Wellen konnte die Chance zur Führung nicht nutzen, auch er konnte sich gegen Blaak nicht durchsetzen. Das zweite Pärchen brachte ebenfalls keinen Treffer zu Stande. De Mol scheiterte per Rückhand am wieder toll reagierenden Danneberg, danach brachte Hannes Müller weder im ersten und auch nicht im zweiten Versuch nach Wiederholung (der Ball war in Blaaks Schienen verklemmt) im Kasten unter. Brinkman brach als insgesamt fünfter Schützen den Bann, traf mit der Rückhand zum 1:0. Prinz scheiterte danach am abermals stark reagierenden Blaak. Als van Dam als vierter niederländischer Schütze zum 2:0 traf, musste Weigand verwandeln, um das vorzeitige Ende zu verhindern. Er traf als erster und einziger deutscher Schütze, denn zu einem fünften Versuch durfte Deutschland gar nicht mehr antreten, weil davor Telgenkamp mit dem 3:1die Entscheidung herbeigeführt hatte.
Dass sich der junge Holländer direkt nach dem Treffer zu einer Provokation gegen den deutschen Torwart (der im Vorfeld des Finals mit ein paar Aussagen gegenüber der Presse für Unmut beim Gegner gesorgt hatte) hinreißen ließ, löste sogleich Ärger aus. Vor allem Niklas Wellen war nicht mehr zu halten und stürmte wutentbrannt auf Telgenkamp und die holländische Gruppe los. Erst nach ein paar wilden Minuten beruhigten sich die Gemüter dann wieder. Telgenkamp wurde dann auch während der Siegerehrung von vielen Zuschauern ob seiner völlig unangebrachten Unsportlichkeit ausgepfiffen, während besonders Shootout-Held Pirmin Blaak Extrabeifall der vielen holländischen Fans bekam.
Mit dem Finger über den Lippen gebietet Matchwinner Duco Telgenkamp dem geschlagenen deutschen Torhüter Jean Danneberg Ruhe und wischt ihm anschließend sogar noch über den Helm. Das kam überhaupt nicht gut an, vor allem nicht im deutschen Lager. Foto: Kaste
Stimmen:
André Henning: Das Spiel war letztlich komplett offen und auf des Messers Schneide. Fast schon überraschend fand ich, dass wir am Ende nochmal gekommen sind und uns das Tor beflügelt hat und natürlich auch der spektakuläre Save von Gonzo auf der Linie, ansonsten war es ein total ausgeglichenes Spiel. Wahrscheinlich hätten wir schon noch etwas risikofreudiger und mutiger spielen müssen, um noch mehr in den Kreis zu kommen. Beide Mannschaften haben sich ja nahezu komplett neutralisiert. Um es in der regulären Spielzeit zu machen, hätten wir da mehr Energie gebraucht. Das hat man schon gemerkt, dass das den Jungs gefehlt hat. Kein Wunder nach acht Spiel in zwölf Tagen. Es stellt sich schon die Frage, warum ausgerechnet die Mannschaftssportart, wo mit am intensivsten gespielt wird, bei Olympia die kürzeste Turnierdauer hat. Aber die Bedingungen herrschen ja für alle. Ich hatte den Eindruck, beide konnten heute auch nicht mehr so wahnsinnig viel auf dem Level zulegen. Es fühlte sich so an wie Schwergewichtsboxen in der letzten Runde.
Mit unseren Qualitäten im Shoot-out können wir das Spiel normalerweise auch darüber gewinnen. Wir haben sie heute nicht alle auf den Platz gebracht. Wir hatte da schon einen klaren Plan, waren vorbereitet. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Shoot-out kommt, war ja nicht gering. Es war sogar mein Tipp vorher, dass es heute so kommt.
Am Ende sind es auch die Kleinigkeiten gewesen. Dass wir zwei grüne Karten erhalten und die Holländer keine, das passt nicht zum Spiel. Ich fühle mich da auch nicht komplett fair behandelt. Das erste Gegentor haben wir der Nachsortierung nach einer Unterzahl gefangen. Verteidigt haben wir heute auf extrem hohem Level, haben dafür auch nicht viele Konter bekommen. Holland selber hat auch nur dort risikoreich gespielt, wo es ihnen nicht wehtut. Das zeigt ja auch, wieviel Respekt sie vor uns und unsere Defense haben. Ich habe schon deutlich rasantere Spiele zwischen Deutschland und Holland gesehen, gleichzeitig ist es auch das typische Verhalten in so einem Endspiel, weil man eben weiß, dass Kleinigkeiten entscheiden können.
Mit dem heutigen Tag werden auch Karrieren von wichtigen Spielern zu Ende gehen, das ist ziemlich sicher. Deshalb ist die Geschichte dieser speziellen Mannschaft zu Ende erzählt, mit einem dramatischen und traurigen Schlusskapitel. Das ist schade und bitter, tut mir für viele Jungs leid. Niklas Wellen wird mit höchster Wahrscheinlichkeit aufhören, ein paar andere vielleicht auch. Andererseits haben viele, auch vermeintlich ältere Spieler Lust, weiterzumachen. Und gleichzeitig haben wir viele tolle Talente, die wir schon in den letzten Monaten immer wieder dabei hatten. Wir werden wieder angreifen, bei der EM nächsten Sommer in Gladbach und perspektivisch natürlich schon Richtung LA 2028.
An den Jungs wird das noch Wochen und Monate nagen, hier Gold verpasst zu haben. Letztlich haben wir aber eine unglaubliche Reise hingelegt. Wir sind innerhalb von 18 Monaten im WM-Finale und haben es gewonnen, sind im Olympia-Finale gewesen und haben es so knapp verloren, wie man es nur verlieren kann. Wir waren vorher zehn Jahre lang in keinen Finale eines Major-Turniers. Das ist einfach eine wahnsinnige Entwicklung, und wir sind ja auch nicht glücklich in diese Endspiele reingestolpert, sondern spielen super Hockey, haben eine total starke Mannschaft. Das macht einen Trainer schon stolz, dass wir in so kurzer Zeit so viel aus den Jungs rausholen konnten.
Tom Grambusch: Gold war das Ziel, das haben wir so nach außen hin kommuniziert. Das haben wir denkbar jetzt knapp nicht geschafft, das ist sehr bitter. Klar ist eine Silbermedaille etwas Schönes, aber fühlt sich heute noch nicht so an. Dass wir gerade gegen die Niederlande verloren haben, spielt im Grunde keine Rolle. Ich habe keine Probleme mit der Mannschaft oder mit den Jungs. Das war heute ein klassischer Abnutzungskampf. Wenig Torchancen und wenig Ecken. Da wurde alles reingehalten, von beiden Seiten. Es war ein relativ unspektakuläres Spiel, aber wahnsinnig anstrengend. Dem Spielverlauf nach geht das 1:1 in Ordnung. Wenn wir uns das Spiel auf Video anschauen, finden wir sicher Dinge, die wir hätten besser machen können, keine Frage. Wir haben uns zu leicht pressen lassen von den Holländern, haben es nur teilweise geschafft, das Pressing zu knacken. Dementsprechend hatten wir zu wenig den Ball.
Niklas Wellen: Im Moment fällt es logicherweise schwer, sich über Silber zu freuen. In ein paar Tagen oder Wochen ist es wahrscheinlich einfacher. Eine brutal schmerzhafte Niederlage, das braucht ein bisschen Zeit. Dass das olympische Finale nicht das beste Spiel wird, ist nach acht Spielen in zwölf Tagen klar. Beide Mannschaften waren irgendwie total platt. Dafür ist der Spielplan viel zu brutal. Ich hoffe, dass Richtung LA 2028 der Spielplan angepasst wird, es weniger Gruppenspiele sind. Beide Mannschaften haben versucht, den Ball viel zu halten, um Konter zu vermeiden. Es war sehr taktisch geprägt, wir haben unseren Aufbau heute auch nicht so gut hinbekommen. Irgendwie war es logisch, dass es ins Shoot-out geht. Und da ist dann alles möglich, auch wenn wir zuletzt sehr oft als Sieger hervorgegangen sind. Pirmin Blaak hat es sehr gut gemacht heute.
Das Spiel selber war komplett ruhig, überhaupt nicht hitzig, aber was danach passiert ist, ist das unsportlichste Verhalten, was ich von einem Gewinner je gesehen habe. Der hat den schönsten Moment seines Lebens, gewinnt gerade Gold bei Olympischen Spielen und rennt dann zu unserem Torwart und provoziert ihn. Ich weiß nicht, warum man sich so einen schönen Moment, wo es einfach nur um den Sieg geht, selber kaputtmacht. Ich mag die Holländer total gerne, das sind total nette Jungs, die haben sich das verdient, aber so ein Verhalten ist absolut inakzeptabel und traurig. Er wurde zurecht bei der Siegerehrung von allen ausgepfiffen.
Es war mein letztes Spiel heute für Deutschland, aber das stand schon lange vor dem Turnier fest.
Mats Grambusch: Duco Telgenkamp ist ein großartiger Spieler, der schon viele wichtige Tore erzielt hat. An so einer Aktion wie heute sieht man natürlich, dass er noch ein sehr junger Spieler ist, der noch nicht so richtig mit seinem Emotionen umgehen kann. Gleichermaßen ist es jetzt unnötig nachzutreten. Das ist nicht unsere Art. Er wird daraus lernen und hat es als guter Spieler verdient, eine Goldmedaille um den Hals zu tragen.
Thies Prinz: Das Eckentor war wirklich intuitiv. Ich hatte den Ball ja eigentlich verstoppt. Das passiert mir eigentlich nicht so oft, aber in so einem wichtigen Spiel ist man halt auch ein bisschen nervös, da kann so etwas passieren. Da die Abspieloptionen nach außen zugestellt waren, hab ich halt einfach mal draufgeschossen. War natürlich ein bisschen glücklich, aber in so einem Spiel, wo man so wenig Chnacen hat, braucht man auch ein wenig Glück. Das Tor war natürlich ein schöner Monment, aber am Ende hat es ja auch nicht so viel geholfen. Blaak hat es beim Shoot-out sehr gut gemacht, er war heute aggressiver als sonst, hat zügig versucht, beide Auswege nach rechts oder links zuzumachen. Bei der WM sind ein paar Versuche recht glücklich reingegangen. Das hat uns heute gefehlt. Das ist bitter, aber so ist es halt im Sport. Jean hat alles gegeben und auch sehr gut gehalten. Gerade überwiegt noch die Trauer, aber später kann man schon stolz auf seine Turnierleistung sein.