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Tibor Weißenborn: „Wir sind konditionell bis zum Schluss stark und brechen selten ein“

Nach seiner mit 321 Länderspieleinsätzen und mit zwei WM-Titeln (2002/2006) sowie olympischem Gold 2008 gekrönten Laufbahn war Tibor Weißenborn hockeytechnisch lange Jahre abgetaucht. Doch im Sommer 2025 kehrte der frühere Mittelfeldspieler zurück auf die Bühne – als neuer Cheftrainer der Bundesligadamen von Rot-Weiss Köln. Wie er als Nachfolger des „ewigen“ Markus Lonnes zu dem Job kam, was er zusammen mit seinem Co-Trainer Gero Leichenich alles verändert hat und warum er kein Shoot-out mag, hat der 44-Jährige im Interview der DHZ-Mitarbeiterin Claudia Klatt erzählt.

Herr Weißenborn, wie kam es dazu, dass Sie bei Rot-Weiss Köln die 1. Damen übernommen haben?

Tibor Weißenborn: Markus Lonnes, der knapp 18 Jahre lang die Damen trainiert hat, hat am Ende der letzten Saison entschieden, aufzuhören. Die Zeit war dadurch sehr kurz, einen neuen Trainer zu finden – idealerweise jemanden, der langfristig bleibt. Der Verein hat zwar mit ein, zwei Trainern gesprochen, aber der Richtige war noch nicht dabei. Deshalb haben wir uns im Verein für eine Übergangslösung entschieden. Nach Rücksprache mit meiner Familie habe ich mit Gero Leichenich gesprochen, dem langjährigen Co-Trainer von Markus Lonnes. Da mir die Erfahrung als alleiniger Cheftrainer fehlt, wollte ich das nicht alleine machen. Gero kenne ich schon lange aus der Jugend, da wir dort oft gemeinsam gecoacht haben – auch die Mannschaften, in denen meine Tochter spielte. Schnell war klar, dass wir das gemeinsam machen wollen. Wir haben gemeinsam entschieden, das zunächst für ein Jahr so zu gestalten, um Zeit zu gewinnen, eine langfristige Lösung zu finden. Da der Trainermarkt derzeit sehr dünn ist, haben wir uns für eine vereinsinterne Teamlösung entschieden, die Kontinuität und Stabilität gewährleistet.


Haben Sie neben der Trainertätigkeit auch eine andere Rolle im Verein?

Nein, ich bin nicht im Vorstand. Ich engagiere mich in der Jugendabteilung, weil dort meine Tochter spielt. Dort bin ich ehrenamtlich als Co-Trainer tätig. Unter anderem sind Gero und Markus dort Trainer – und sie freuen sich natürlich, dass ich mithilfe. Da wir viele Jugendliche haben, ist es wichtig, wenn ehemalige Hockey-Eltern unterstützen. Das habe ich jahrelang gemacht. Wir sprechen uns im Verein gut ab, um für alle Mannschaften passende Lösungen zu finden. Viele von uns haben ein gutes Netzwerk und Know-how, um das Beste für den Verein zu erreichen.

 

Cheftrainer Tibor Weißenborn mit seinen Rot-Weiss-Spielerinnen Inma Hofmeister (links) und Lea Thomas am vergangenen Sonntag beim Kölner Auswärtsspiel in Düsseldorf. Das 0:0 war Kölns sechstes Unentschieden im zehnten Saisonspiel. Zum vierten Mal ging aber der Extrapunkit im Shoot-out an den Gegner. Foto: Kramhöller



Wie ist die Rollenverteilung zwischen Ihnen und Gero Leichenich? Vom Verein aus sind Sie ja offiziell Cheftrainer.

Offiziell bin ich der Cheftrainer, Gero ist Co-Trainer. Intern arbeiten wir aber auf Augenhöhe. Er ist stärker für den Hockeybereich zuständig, da er als Videoanalyst des weiblichen A-Kaders der Nationalmannschaft und als Cheftrainer des Westdeutschen Hockey-Verbandes ein enormes analytisches Wissen hat. Er weiß genau, wie man Trainingseinheiten aufbaut und strukturiert. Ich kümmere mich eher um Themen wie Planung, Strukturierung, Kommunikation mit dem Team, Einzelgespräche, Reisekoordination etc. Wir teilen uns die Aufgaben sehr klar auf. Ich glaube, dass man heutzutage kaum noch allein Cheftrainer sein kann – es ist einfach zu anspruchsvoll. Diese Teamlösung funktioniert hervorragend.


Konnten Sie mit der Mannschaft vor der Hinrunde schon Ziele festlegen?

Die Entscheidung fiel Anfang Juni, und wir hatten nur etwa sechs Wochen, um die Vorbereitung zu organisieren. Wir haben uns mit der Mannschaft zusammengesetzt und intern Ziele definiert. Nach 18 Jahren unter Markus Lonnes wollten wir bewusst neue Impulse setzen – mit einer anderen Ansprache, einem neuen Spielstil und einer veränderten Trainingsstruktur. Ein konkretes Saisonziel haben wir uns aber nicht gesetzt, da uns viele Spielerinnen fehlen. Wir wollten einfach eine gute, engagierte Hinrunde spielen, die Spaß macht. Der Kader ist derzeit sehr dünn, was Flexibilität verlangt.



Wer fehlt aktuell und wer könnte bald zurückkehren?

Aus der Mannschaft, die letztes Jahr in den Play-offs war, fehlen uns sechs Spielerinnen aus der ersten Elf – das ist für jeden Verein schwer zu verkraften. Julia Sonntag hat nach der EM eine Pause eingelegt, wurde aber nun für die Hallen-EM nominiert. Für die Feldsaison hat sie allerdings abgesagt, da sie ihre Karriere dort beendet. Nike Rühr hat ebenfalls ihre Top-Hockey-Karriere beendet. Drei Spielerinnen sind durch ihr Studium nicht verfügbar: Emma Boermans ist in Berlin, Jule Fischer in Polen und Antonia Lonnes in Paris. Alle drei kommen zur Rückrunde zurück, Antonia eventuell schon im Dezember für die Hallensaison. Zudem fehlen uns mit Tici Wiedermann (Schienbeinkopfbruch) und Pia Maertens (nach langer Verletzung im Aufbau) zwei A-Kaderspielerinnen. Rebecca Grote hat ebenfalls aufgehört.
Dafür haben wir Feña Arrieta eine chilenische Nationalspielerin verpflichtet, die menschlich und spielerisch super ins Team passt, und eine jüngere Spielerin aus der zweiten Mannschaft hochgezogen. Wir sind mit 19 Feldspielerinnen und drei Torhütern gestartet, aktuell sind es nur 14 Feldspielerinnen, da fünf verletzt sind. Trotz allem haben wir zuletzt stark gespielt und gegen die Topteams gute Ergebnisse erzielt.



Wo liegen momentan die größten Herausforderungen?

Ganz klar in der Offensive. Nach den vielen Abgängen ist das schwer zu kompensieren. Unsere Stärke liegt in der Defensive und im taktischen Bereich – wir haben in keinem Spiel mehr als zwei Gegentore kassiert. Darauf sind wir stolz. Offensiv fehlt uns noch die Durchschlagskraft, aber spielerisch treten wir attraktiv auf. Der „Knoten“ muss einfach noch platzen. Gegen Topteams wie Düsseldorf oder Mannheim hatten wir gute Phasen, aber diese Mannschaften haben individuell eine andere Qualität. Insgesamt bin ich aber sehr zufrieden mit der taktischen Disziplin und dem Teamgeist – wir sind in keinem Spiel unterlegen.

 

Für Tibor Weißenborn (Mitte) ist Gero Leichenich (links) kein typischer Co-Trainer, sondern ein Trainerkollege auf Augenhöhe, der für zahlreiche Dinge im Ablauf der Rot-Weiss-Damen eigenverantwortlich ist. Foto: Kessler



Was haben Sie im Training konkret verändert?

Wir haben die Struktur angepasst – also wann wir Athletik-, Sprint- oder Krafttraining machen. Eine Morgeneinheit haben wir wieder eingeführt. Außerdem haben wir die Intensität deutlich erhöht und die Trainingsfrequenz gesteigert. Da der Kader kleiner ist, sind die Einheiten automatisch anstrengender. Das zahlt sich aus: Wir sind konditionell bis zum Schluss stark und brechen selten ein. Das verdanken wir der engen Zusammenarbeit mit unserem Athletiktrainer und den Physios. Insgesamt haben wir die Trainingsinhalte intensiver gestaltet.


Ihre Mannschaft war in dieser Saison in zehn Spielen schon sechsmal im Penaltyschießen, wovon Köln lediglich zweimal als Sieger hervorging. Wie bewerten Sie das?

Ich persönlich mag die Regel nicht – für Zuschauer ist sie spannend, für Trainer eher nervenaufreibend. Die vielen Shoot-outs zeigen aber, dass wir defensiv stark sind und selten verlieren. Unsere aktuelle Offensivschwäche führt eben oft zu Unentschieden. Im Shoot-out sind wir ordentlich, haben aber auch einige verloren. Mannschaften wie Mannheim oder Düsseldorf haben da natürlich enorme Qualität mit mehreren Nationalspielerinnen. Trotzdem bin ich froh, dass wir überhaupt so oft ins Penaltyschießen kommen – das zeigt, dass wir immer auf Augenhöhe sind.


Wie bringen Sie die Trainertätigkeit mit Ihrem Hauptberuf unter einen Hut?

Ich bin Geschäftsführer Finanzen bei einem Immobilien-Projektentwickler. Es ist machbar, aber deutlich anstrengender, als ich gedacht hatte – vor allem mental. Mit der Vorbereitung, Nachbereitung und Videoanalysen ist es zeitlich sehr intensiv. Auch die Emotionen rund um die Spiele kosten Energie – das Wochenende ist keine Erholung, sondern oft noch anstrengender. Da ist es ganz angenehm, wenn wir mal ein spielfreies Wochenende haben.

 

Vielen Dank für das Gespräch!